Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Wenn ich in einer Barockkirche bin, komme ich mir manchmal vor wie in einem Museum. Die Bilder und Figuren zeigen, was den herrschenden Menschen damals wichtig war. Aber es ist nicht nur Vergangenheit. Die vielen Figuren haben auch mit mir etwas zu tun, denn einige davon zeigen bestimmte menschliche Eigenschaften, die glaube ich zeitlos sind. Für mich also ein hervorragender Spiegel, um über mein eigenes Leben nachzudenken.
Da stehen sich zum Beispiel zwei gegenüber, wie bereit zu einem Ringkampf. Wobei die eine Figur eigentlich so gar nicht kampfbereit wirkt, eher zurückhaltend. Dafür zeigt die andere Figur alles, was zu einer aggressiven Haltung gehört: weit aufgerissene starre Augen, ein geöffneter Mund, aus dem man glaubt, Kampfgebrüll zu hören.
Der Zorn und die Geduld werden da verkörpert. Der Zornige hat sich nicht im Griff. Dagegen wirkt die Geduld angenehm sanft und freundlich. Ginge es nur um ein Kräftemessen, so hätte die Geduld wahrscheinlich überhaupt keine Chance.
Wenn ich die beiden so betrachte fällt mir ein, dass sie hier schon mehrere hundert Jahre so sich gegenüber stehen, und beide stehen noch. Es wirkt auf mich, als hätte die Geduld den längeren Atem, sie wirkt weniger angestrengt und viel gelassener. Und wahrscheinlich, denke ich, steht der Zorn kurz vor einem Herzinfarkt.
Die Geduld ist eine christliche Tugend, der Zorn gilt als Sünde. Diese Einteilung wirkt heutzutage überholt und altmodisch. Aber im Kern ist sie wahr: Es ist so offensichtlich, dass andere abwerten, beleidigen oder sogar verletzen, nicht gut für zwischenmenschliche Beziehungen ist. Unkontrollierte emotionale Ausbrüche sind auch nicht gut für die eigene Gesundheit. Ok, manchmal tut es gut, wenn man Dampf ablassen kann, wenn sich Ärger und Wut angestaut haben. Manche tun das schneller und häufiger als andere. Aber ich finde es wichtig, dabei nicht zu vergessen, was bei meinem Gegenüber ausgelöst wird, erst recht, wenn der andere in einer schwächeren Position ist.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Geduld üben lässt, gerade dann, wenn mich wieder einmal einer schier auf die Palme bringt. Das berühmte einmal tief Durchatmen ist ein guter Anfang. Noch besser ist, sich eine Grundhaltung anzugewöhnen, bei der ich einen gewissen Abstand bewahren kann, wie ein Reporter es tun muss, um nicht von dem, was sich ereignet, mitgerissen zu werden. So eine neutrale „Reporterhaltung“, die versucht mit Abstand über das aktuelle Geschehen zu berichten, hat mir schon oft geholfen, auch in schwierigen Situationen, geduldig zu bleiben. Das tut gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22515
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