Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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"Der Geizhals" – so heißt ein Theaterstück des französischen Autors Molière. Ich durfte in der achten Klasse ein Referat darüber halten, die Barockzeit war damals Thema. Das fiel mir wieder ein, als ich kürzlich in einer barocken Kirche war. Da stand eine lebensgroße Figur die krampfhaft einen dicken Geldsack festhält. Ich musste sofort an den missmutigen „Geizigen“ von Molière denken. Das Lustspiel hat mir als Jugendlicher gut gefallen. Bei vielen Szenen musste ich lachen. Aber es hat mich auch traurig gestimmt. Molière zeigt in seiner Hauptfigur einen habgierigen Menschen, der keine Liebe kennt. Ihm ist Geld wichtiger als alles andere.
Der Geizhals in der Barockkirche steht einer anderen Figur gegenüber: der Mildtätigkeit. Sie spendet den Ärmeren von ihrem Essen und ihrer Kleidung. Sie teilt ihren Wohlstand und gibt ab anstatt zu horten. Vielleicht kannten die bildenden Künstler dieser Barockkirche die Komödie ihres Zeitgenossen Molière. Jedenfalls wirken diese beiden Figuren, der Geiz und die Mildtätigkeit, als wären sie mitten aus einer Theaterszene.
Hier die Gute, dort der Böse, wie in einem Dialog. Zeigt man Kindern den Geizhals und die Mildtätigkeit, ist sofort klar, wer ihnen sympathischer ist. Interessanterweise zeigen auch Studien, dass Kinder in ihrem Sozialverhalten zunächst gerne teilen und mit anderen kooperieren. Im Lauf der Zeit geht ihnen diese Fähigkeit verloren. Man könnte fast den Eindruck bekommen, erst durch die Erziehung wird egoistisches Verhalten antrainiert. Als Erwachsene haben wir noch das vage Gefühl, dass Teilen und Zusammenarbeiten besser wäre, handeln aber oft nicht danach. Vielleicht überlagert ein anderes Gefühl dieses tief in uns verankerte Wissen: „Ich könnte ja zu kurz kommen, ich könnte ja etwas verlieren!“
Interessant finde ich, dass in allen Religionen die Mildtätigkeit, das Almosen geben, das Teilen der Güter dieser Erde eine wichtige Rolle spielt. Offenbar hat sich in den Religionen die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir Menschen den Hang dazu haben egoistisch zu werden und nur für uns selbst „haben“ zu wollen. Für mich ist es außerdem logisch, dass Geiz und Habgier beiden schaden. Der eine hat weniger oder nichts, der andere ist damit beschäftigt, sein Hab und Gut zu beschützen. Er muss Angst haben, alles zu verlieren.
Umso wichtiger der Hinweis, dass Mildtätigkeit, notwendig ist. Für Notleidende spenden, vom eigenen Überfluss abgeben. Das kann allzu krasse Schieflagen verhindern, und das Zusammenleben wird so menschlicher.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22514
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