Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Großes Kino“ sagt mein Nachbar bei einer Kirchenführung. Wir unterhalten uns über zwei Figuren in einer Barockkirche. Sie stehen sich gegenüber. Diese Figuren zeigen ganz unterschiedliche Eigenschaften. Im Ausdruck sind sie sehr verschieden. Die eine Figur wirkt krank. Sie ist schlecht gekleidet. Sie schielt missgünstig auf die kraftvoll dastehende Figur gegenüber. „Die gesund wirkende Statue stellt die christliche Tugend des Wohlwollens dar“, sagt der Führer „die kränkliche Figur soll den Neid verkörpern“.
Ich finde es erstaunlich, dass die aktuelle Forschung heute bestätigt, was die Künstler in der Barockzeit wohl intuitiv schon wussten: Neid macht tatsächlich krank. Dieses schlechte Gefühl, wenn andere etwas haben, das man selbst gerne hätte. „Neidische“, sagen die Forscher, „halten nicht durch, geben sich schneller auf. Neid ist das ständige Gefühl, zu wenig zu bekommen und es macht einsam. Über Neid zu sprechen scheint tabu zu sein.“ Das ist ein Fehler glaube ich. Auf giftigen Neid kann man nämlich verzichten.
Mir hat dabei ein guter Freund geholfen. Er hat gemerkt, dass ich auf einen Nachbarn neidisch geworden bin. Der ist beruflich sehr erfolgreich. „Dein Nachbar“ hat mein Freund zu mir gesagt, „ist zwar erfolgreicher, dafür schuftet er aber auch rund um die Uhr. Ist das für Dich wirklich erstrebenswert?“ Seine kritische Frage hat meine Perspektive verändert. Muss ich mich immer mit denen vergleichen, die es anscheinend besser haben? Ich habe es selbst in der Hand, mit wem ich mich vergleiche, mit denen, die mehr haben, oder mit denen, die weniger haben. Und mein Freund hat mir außerdem aufgezählt, mit was ich alles in meinem Leben zufrieden sein kann.
Die andere Figur in der Barockkirche - das Wohlwollen - schaut mit einem liebevollen Lächeln und hat eine offene Haltung. Meinen Mitmenschen „Wohl“ wollen heißt: anerkennen, dass es möglicherweise anderen noch besser gehen kann als mir. Ich muss damit nicht hadern. Ich habe inzwischen festgestellt: Sich für andere freuen ist tatsächlich gesünder. Ich glaube anderen Wohl zu wollen hilft auch Ungerechtigkeiten im eigenen Leben besser auszuhalten.
Im Gespräch mit dem Kirchenführer über die guten alten Tugenden sind wir uns schnell einig, dass diese heute immer noch wertvolle Hinweise für gelingendes Leben geben können. Reife, gesunde Persönlichkeiten können anderen auch etwas gönnen“ meine ich, „und müssen nicht ständig neidvoll auf andere schielen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22512
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