Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Man braucht viel Mut, um neu anzufangen. Aber neu anfangen kann man nur, wenn man irgendwo anders aufhört. Und mir scheint: dazu braucht man mindestens genauso viel Mut.
Denn manchmal hat aufhören ja auch damit zu tun, dass etwas gescheitert ist. Es geht einfach nicht mehr weiter so. Ich denke an Christian, der überfordert ist in der Schule. Jeden Tag derselbe Kampf: für ihn und für seine Eltern. Aufhören wäre gut, damit er in einer anderen Schule neu anfangen kann. Mit weniger Druck und mehr Lebensfreude. Vielleicht dann auch mit mehr Spaß am Lernen und mehr Erfolg. Aber aufhören heißt, zugeben, dass man gescheitert ist. Die Eltern werden enttäuscht sein. Christian auch. Und die Kameraden, die er zurück lassen muss? Die werden ihm fehlen. Also versuchen sie alles, damit man nicht aufhören muss. Aber eigentlich ist es bloß mühsam und alle müssen sich quälen.
Auch zum Aufhören braucht man Mut. Denn Aufhören macht einem oft auch ein schlechtes Gewissen. Geduld gilt als Tugend. Die Hoffnung, dass es doch noch besser wird, soll man nicht aufgeben, sagen die Leute. Aufgeben ist für viele ein Zeichen von Schwäche.
In der Bibel ist viel von Menschen die Rede, die aufhören müssen, damit sie neu anfangen können.
Ich denke an Noemi, eine schon ältere Frau, die begreifen muss: hier habe ich keinen Platz mehr. Ihr Mann, ihre Söhne sind gestorben. Das ist schlimm für sie. Aber mit der Zeit begreift sie: Die Familienphase ist zu Ende. Ich muss hier weggehen, denn hier gibt es kein Leben mehr für mich. Da nimmt sie Abschied. Hört auf. Geht anderswo hin: vielleicht finde sie ja dort wieder einen Platz und Menschen, mit denen sie leben kann. Das ist ihre Hoffnung, sicher kann sie nicht sein. Aber sie probiert es trotzdem. Und es gelingt ihr. Noemi findet wieder einen Platz.
Ähnlich erzählt die Bibel es von Jakob. Der kommt ein paar Mal an ein Ende, aus ganz verschiedenen Gründen. Einmal hat er einen schweren Fehler gemacht, ein andermal kann er nicht mehr zurecht kommen mit den Menschen um sich herum. Und Gott selbst, erzählt die Bibel, Gott selbst rät ihm: Hör auf! Nimm Abschied. Geh hier weg. Es hat keinen Sinn mehr. Hier geht es nicht weiter. Ich werde mit dir gehen. Such dir einen anderen Platz zum Leben.
Auch bei Jakob geht es gut. Auch er findet einen neuen Anfang, weil er den Mut hatte aufzuhören und sich auf den Weg zu machen. Schritt für Schritt und ohne Gewähr, dass es gelingt. Aber seine Geschichte zeigt: Wer den Mut hat aufzuhören, findet auch einen neuen Anfang.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2247
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