Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ich bin ein Gutmensch. Ich bin es gerne. Und ich lasse mich auch so nennen. Ich ärgere mich nicht, wenn das einer zu mir sagt. Ich weiß, dass es oft abfällig gemeint ist, wenn einer das Wort benützt. Aber der Vorwurf trifft mich nicht.

Das Wort Gutmensch kommt daher, dass einer ein guter Mensch ist. Dass er es gut mit anderen meint und sich nicht davon beeindrucken lässt, wenn er deshalb übers Ohr gehauen wird. Es ist ihm wichtiger gut zu sein, als dabei kühl zu kalkulieren, wie er am Ende dastehen wird. Wenn man das praktiziert, was die Christen Nächstenliebe nennen, passiert das hin und wieder. Ich meine, Christen sind immer Gutmenschen, wenn sie dieses Hauptgebot ihres Glaubens ernst nehmen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Es gibt da aber eine Grenze: Wenn ich mich selbst nicht mehr im Spiegel anschauen könnte vor lauter Gutmenschentum, dann müsste mir das zu denken geben. Oder wenn ich mich selbst aufgebe, naiv genug nur darauf zu warten, dass mich wieder einer ausnützt. So meine ich's nicht. Ich bin ein Gutmensch, und ich gebe mich trotzdem nicht auf. Ich bin selbstbewusst und halte daran fest, dass es mir wichtig ist, anderen gutherzig zu begegnen. Ohne voreingenommen zu sein. Ich rechne nicht damit, dass jemand mich ausnützt. Aber ich nehme es in Kauf. Und wenn ein anderer kommt, der meine Güte nötig hat, bin ich zu dem wieder gut. Ich schließe nicht von einem auf den anderen. Das kann man für leichtsinnig halten. Aber auch das nehme ich in Kauf – um des Guten willen.

Am Pfarrhaus klingeln Menschen, die Hilfe suchen. Sie erzählen Geschichten, was ihnen Schlimmes passiert ist. Sie riechen nach Alkohol. Sie sind drogenabhängig. Sie sehen müde und traurig aus, gezeichnet von einem Leben, das ihnen hart mitgespielt hat. Wir unterhalten uns. Ich weiß nicht, ob alles stimmt, was sie mir erzählen. Manches klingt unglaubwürdig in meinen Ohren. Manchmal muss ich mich zurück halten, um ihnen keinen klugen Rat zu geben. Das lasse ich, weil es ihr Leben ist und nicht meines. Aber es verhindert nicht, dass ich gut über sie denke und ihnen versuche, etwas Gutes zu tun. Im Priesterseminar haben wir einen Merksatz gelernt: „Wer noch nie übers Ohr gehauen wurde, hat auch noch nie versucht, anderen etwas Gutes zu tun.“ Daran denke ich dann, und bin auch weiterhin … ein Gutmensch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22412
weiterlesen...