Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es hat eine Phase in meinem Leben gegeben, in der ich meinen Beruf gern los geworden wäre. Pfarrer … Sonntag für Sonntag erklären, was Jesus von einem Christenmenschen will. Die Schwierigkeiten von anderen Leuten anhören. Auf dem Friedhof in der Kälte stehen und Tote beerdigen. Das kann ganz schön anstrengend sein.

Und tatsächlich hat dieser Beruf schon manchmal an meinen Kräften gezehrt, und an meiner Geduld. Dann hab ich mir überlegt, was ich statt dessen gerne für einen Beruf hätte. Und bin auf Briefträger gekommen. Feste Arbeitszeiten. Immer an der frischen Luft. Wenig Verantwortung. Und keine Leute, die ständig auf einen schauen und beurteilen, wie man sein Geschäft macht. Ich stelle mir das sehr angenehm vor. Aber gleichzeitig weiß ich, dass das nur die eine Seite der Medaille ist. Ich habe die Kehrseite auch nicht übersehen. Deshalb bin ich ja auch immer noch Pfarrer. Und nicht Briefträger. Weil ich mir nicht sicher bin, ob dieser Beruf etwas für mich wäre - trotz seiner sicher schönen Seiten. Jeden Tag die gleichen Handgriffe und dieselben Wege, kaum Verantwortung? Wäre ich am Ende unzufriedener als vorher?

Ich bleibe der gleiche Mensch – als Briefträger und als Pfarrer. Mein Charakter ändert sich dadurch nicht. Und meine Stärken und Schwächen bleiben auch dieselben. Die Frage, der ich mich stellen muss, lautet also nicht: „In welchem Beruf wirst du zufrieden?“, sondern viel grundsätzlicher: „Wie bist du überhaupt zufrieden?!“ Und das geht nur, wenn ich mit mir selbst im reinen bin – einigermaßen zumindest. Je mehr, desto besser. Ich meine damit, dass ich es mit mir selbst aushalte, dass ich weiß, wann mir etwas zu viel wird und wenn ich eine neue Herausforderung brauche. Und dass meine Arbeit dabei den rechten Platz hat. Sie ist wichtig, weil ich aus ihr Bestätigung bekomme und das Gefühl, etwas zu können und gebraucht zu sein. Aber sie ist nicht alles. Wenn meine Zufriedenheit nur von dem abhängt, was ich beruflich leiste, dann greift das zu kurz. Pfarrer-Sein kann schön und anstrengend sein. Und Briefträger-Sein genauso. Aber den Ausschlag gibt die Frage, ob ich das, was ich bin, gut und gern bin - und bei allem so viel wie möglich „Ich selbst“.

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