Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es gibt Sätze in der Bibel, die mich fassungslos machen. Die Rachepsalmen zum Beispiel. Gebete, in denen einer auf Rache sinnt. Ein sehr verzweifelter Mensch will, dass die bestraft werden, die ihm übel mitgespielt haben.

Diese Rache-Gebete fangen oft mit einer Klage an. Da klagt jemand über das Elend, das er gerade durchmacht. Er klagt es Gott. Dann denkt er über die nach, die ihm etwas angetan haben. Es gibt Menschen, die aus seiner Sicht mitschuldig daran sind, dass es ihm schlecht geht. Am Ende fallen dann Sätze wie diese:

„Gott, lass deine Wut über sie kommen! Dein glühender Zorn soll sie treffen!“ (Ps 69,25)
Oder: „Sein Leben soll nur eine kurze Zeit dauern und sein Amt ein anderer übernehmen. Seine Kinder sollen zu Waisen werden und seine Frau zur schutzlosen Witwe.“ (Ps 109, 8.9)

Das sind Sätze aus der Bibel. Aus dem Buch, in dem ich so viel über Nächstenliebe und Vergebung lese.

Warum stehen solche Rache-Psalmen in der Bibel? Warum hat da vor 2000 Jahren keiner zensiert? Andererseits ist das nun wieder etwas, was mich beeindruckt. Dass da nicht zensiert wird. Dass da einer zu Wort kommt, der gerade nur noch abgrundtief finster denken und fühlen kann. „So kann es auch in mir aussehen,“ sagen mir die alten Rache-Gebete. Ich erkenne: „So unversöhnlich und bitter kann ich sein.“ Und ein Rat für solche Situationen steckt für mich auch noch darin. „Wenn Dir so zumute ist, dann schütte nicht Harmonie drüber. Tu nicht so, als wäre alles in bester Ordnung. Rette dich damit zu Gott.“ Auch das finde ich beeindruckend: dass da ein verzweifelter, zorniger, unversöhnlicher Mensch nicht mit sich allein gelassen wird. Und erst recht wird er nicht auf die anderen losgelassen. Die Rachepsalmen schicken einen in eine andere Richtung: hin zu Gott. Er ist die Adresse, um den Zorn auszutoben. Sonst niemand. Er ist allerdings auch die Adresse, um sich vom Zorn zu verabschieden.

Denn Gott setzt meinem Zorn und mir Grenzen. Der sterbende Christus betet für seine Feinde, die ihm das angetan haben. Das kommt meinen Rachegedanken in die Quere. Wenn ich daran denke, dann haben am Ende nicht meine Zorn- und Machtphantasien das Sagen, sondern der barmherzige Gott. Der ist nicht nur mir gegenüber barmherzig, sondern auch dem gegenüber, der mir zu schaffen macht. Wir beide haben einen barmherzigen Gott nötig. Daran  erinnern mich die Rachepsalmen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22336
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