Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Höflichkeit ist wie ein Luftkissen: es mag wohl nichts drin sein, aber es mildert die Stöße des Lebens.“ Nicht schlecht, dieser Spruch des Philosophen Schopenhauer. Zwar findet er Höflichkeit hohl, aber sie puffert wohl die Härten des Alltags ab. Stimmt. In letzter Zeit ist es mir ein paar Mal passiert, dass Menschen höflich zu mir waren. Junge Männer haben mir an einer Tür den Vortritt gelassen. Oder mich freundlich auf der Straße gegrüßt ohne dass sie mich gekannt haben. Interessant war für mich, dass es jedes Mal Flüchtlinge waren. Mag Zufall sein, aber dass sie mir als älterem Mann Respekt gezeigt haben war so ungewohnt wie angenehm für mich. Auch weil ich in Deutschland eine ziemliche Verrohung der Sitten feststelle. Rechtsruck und Facebook scheinen Grobheiten und Aggressionen salonfähig zu machen. Wenn Leute Angela Merkel einen abgeschnittenen Schweinskopf vor die Tür legen oder der SPD-Politiker Drexler Morddrohungen bekommt, dann ist das die messerscharfe Spitze eines Eisbergs von Verrohung. Einer Verrohung, die mit Hasstiraden in den unsozialen Medien beginnt und sich mit Grobheiten auf Straßen und in Bahnen fortsetzt. Eine Verrohung der mit Höflichkeit nicht mehr zu begegnen ist. Grobiane brauchen Grenzen. Damit sie spüren was in einer zivilisierten Gesellschaft geht, und vor allem was nicht geht. Und damit sich Geschichte nicht wiederholt. Denn vor 80 Jahren waren schon mal Grobiane zugange, die nicht ernst genug genommen wurden und denen nicht rechtzeitig Grenzen gesetzt wurden. Allen anderen tut ein wenig mehr Höflichkeit gut. Aber nicht die leere Luftkissen-Höflichkeit Schopenhauers, die mehr Form als Inhalt ist. Sondern eine gefüllte Höflichkeit. Gefüllt mit Respekt, Wohlwollen und Freundlichkeit. Zuerst einmal gegenüber mir selbst und dann gegenüber den Anderen. Denn wie soll ich zu jemandem höflich sein, wenn ich mich selbst nicht mag. Oder anders ausgedrückt, in dem so schlichten wie großen Satz christlich-abendländischer Kultur: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.“

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