Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es gibt Menschen, die wollen anonym beerdigt werden. Ohne Grabstein, ohne Namensschild, manche sogar ohne Grab, an einem unbekannten Ort. Ich respektiere diesen Willen, wenn jemand ihn klar ausspricht. Aber mir hat die Vorstellung nie behagt: dass ein Mensch auf einmal keinen Namen mehr hat, nach seinem Tod. Wenigstens der Name muss doch übrig bleiben, dieses letzte Bisschen an Persönlichkeit. Wenigstens dieser eine Hinweis, dass da mal ein Mensch war, einer wie kein anderer.

Immer und immer wieder ertrinken Menschen im Mittelmeer. Nahezu jeden Tag passiert das. Inzwischen ist das oft kaum mehr eine Meldung in den Nachrichten wert. Es scheint so, als hätten wir uns daran gewöhnt. Als sei es Alltag, normal, unausweichlich. Aber das ist es nicht. Und darf es nie und nimmer werden. In den Booten, die auf der Überfahrt von Afrika nach Europa in Seenot geraten, sind Menschen auf der Flucht. Frauen, Kinder, Männer, denen es in ihrem Heimatland schlecht geht, die politisch verfolgt und mit dem Tod bedroht werden. Sie hoffen, dass es ihnen woanders besser geht, dass sie sich jenseits des Meeres eine neue Zukunft aufbauen können. Aber dann gibt es da welche, die ihre Not ausnützen, die das Vertrauen missbrauchen, das die Fliehenden notgedrungen in sie setzen. Ein Boot übers Wasser, ein Dokument für die Grenze. Aber den Schleusern geht es nur ums Geld. Sie haben keine Skrupel, ihre Boote so voll zu machen, dass sie untergehen müssen. Der Tod ist einkalkuliert, als wäre er ein Risiko, das man eben in Kauf nehmen muss.

Mir stellen sich die Haare zu Berge, wenn ich daran denke, dass von vielen, die so im Mittelmeer ertrunken sind, nicht einmal ihr Name bekannt ist. Unlängst war das ein Schiff mit über dreihundert Personen. Keiner weiß über sie Bescheid. Sie sind einfach weg. Ihre Angehörigen sind sich darüber im Unklaren, ob sie noch hoffen dürfen oder um sie trauern müssen. Wenn ich mir vorstelle, da wären Menschen dabei, die ich kenne, Freunde gar oder Verwandte. Wenn ich mir das vorstelle, dann kommt mir das, was so weit weg passiert, auf einmal ganz nah. Wenn ich mir das vorstelle, dann meine ich zu wissen, dass Gott das weh tut. Dass er darunter leidet, wenn wieder einer von denen verloren geht, die er nach seinem Bild geschaffen hat – einmalig, nicht zu ersetzen, unendlich kostbar.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22124
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