Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Papst Franziskus ist vor kurzem der Karlspreis verliehen worden. Diesen Preis bekommt immer eine Persönlichkeit, die sich um Europa verdient gemacht hat. Von der Festrede des Papstes hat ein kleiner Satz besondere Aufmerksamkeit erregt. Er lautet: „Was ist mit dir los, Europa?“ Das hört sich zwar an wie eine Frage. Aber es ist in Wahrheit ein Stoßseufzer. Weil er sich selbst die Frage schon beantwortet hat. Papst Franziskus findet: Mit Europa ist etwas nicht in Ordnung!

Ein schöner Dank ist das, so ein Vorwurf, könnte man meinen. Dabei besteht der Dank des Papstes wohl auch darin, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Hatten die Europäer sich nicht große gemeinsame Ziele gesetzt und Standards vereinbart: für den Umweltschutz und den technologischen Fortschritt? Jeder konnte ungehindert in das Land des Nachbarn reisen, ohne Kontrollen, ohne Zölle. Franziskus spricht davon, was die Stärke dieses Kontinents auszeichnen könnte: Viele Nationen, kleine und große, die an einem Strang ziehen. Eine Gemeinschaft, von der alle profitieren. Das Wort Solidarität wird nicht nur groß geschrieben, sondern es bedeutet etwas. Keiner wird im Stich gelassen, wenn es ihm schlecht geht.

Und jetzt?! Jetzt sind alle nach Rom gekommen, die in Europa Rang und Namen haben. Und der Papst konfrontiert sie mit seiner Frage: „Was ist mit dir los, Europa?“ Und er meint damit selbstredend die, die ihm gegenüber sitzen. „Was ist mit Euch los? Habt Ihr vergessen, was wichtig ist? Wollt Ihr Eure Ideale aufgeben? Nur, weil es nicht mehr so gut läuft wie zu Beginn, weil es ein paar Probleme gibt, weil es jetzt ernst wird mit der Solidarität? Weil die fliehenden Menschen aus Syrien und dem Irak zu viele sind für die Länder an Europas Grenzen?“

Papst Franziskus hat Europa ins Gewissen geredet. Er weiß, was Europa auszeichnet, weil er seit drei Jahren hier lebt und aus einem Kontinent stammt, wo die Verhältnisse viel schwieriger sind. Was er sagt, sagt er auch als Christ: Für ihn ist das Schicksal Europas mit dem der christlichen Tradition untrennbar verbunden. Deshalb gehört es für ihn unbedingt zu Europa, dass hier auf die Menschenrechte geachtet wird und dass jeder das Recht hat, seine Meinung offen zu sagen.

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