Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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90 Jahre ist sie – die Frau, die ich besucht habe. Man sieht ihr das Alter an: ganz mit Fältchen ist ihr Gesicht durchzogen und das Laufen fällt ihr schwer. Aber ihre Augen sind jung und wach. Sie hat mir von ihrem Mann erzählt, mit dem sie 50 Jahre verheiratet war. Und von ihrem Leben. Vom Krieg, von der Flucht, vom Neuanfang mit nichts als dem, was sie auf dem Leib hatte. Kein einfaches Leben. Nichts ist ihr in den Schoß gefallen. Aber ein glückliches Leben, hat sie betont und ihre Augen haben dabei geleuchtet.

Ich musste an die Schauspielerin Marilyn Monroe denken, als ich der alten Dame zugehört habe. Über sie hatte ich gerade einen Bericht gesehen. Marilyn hätte in zwei Wochen auch ihren 90. Geburtstag gefeiert. Aber sie ist einsam und allein mit nur 36 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben.

Marilyn hatte vieles, was die alte Dame nicht hatte: Sie war erfolgreich, umschwärmt und reich. Aber sie war nicht glücklich! In ihr Tagebuch hat sie geschrieben: „Ich bin allein - ich bin immer allein.“ Als man die tote Marilyn in ihrer Wohnung gefunden hat, hielt sie den Telefonhörer in der Hand. Aus dem ertönte der immer gleiche Satz: "Kein Anschluss unter dieser Nummer. Kein Anschluss unter dieser Nummer." Wen sie wohl anrufen wollte, habe ich mich gefragt?

„Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden nimmt an seiner Seele.“ hat Jesus gesagt (Markus 8,36). Was nützt es einem Menschen, wenn er alles hat, aber keinen Menschen, der ihn hält, musste ich denken.

Die alte Dame, die ich besucht habe, ist auch allein. Ihr Mann ist vor 18 Jahren gestorben. Und Kinder haben sie leider keine bekommen können, hat sie mir erzählt. Aber sie hatte immer Freunde und gute Bekannte – in der Nachbarschaft, in der Kirchengemeinde. Und sie hatte immer ihren Glauben, hatte immer Gott.

„Und der hält, was er verspricht!“, sagt die Frau mit einem kleinen Lächeln. Und sie zeigt mir ihren Konfirmationsspruch, der schön gerahmt auf dem Sideboard liegt. Ich muss auch lächeln, als ich den Spruch lese. „Hab keine Angst“, lautet er „ich, Gott, bin bei dir. Ich stärke dich, ich helfe dir auch. Ich halte dich durch meine Hand!“ (Jesaja 41,13).

Da musste ich wieder an Marilyn Monroe denken. Sie hat einmal gesagt: „Eine Karriere ist nichts, woran man sich wärmen könnte in einer kalten Nacht.“ Sie hat immer Wärme gesucht und Halt – ihr Leben lang bis zum Tag ihres Todes. Aber dieser Wunsch hat niemanden erreicht. Der alten Dame in meiner Gemeinde wäre das nicht passiert, glaube ich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22013
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