Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es ist Mai, die Sonne wärmt einen, der Sommer liegt vor uns. Manchmal, wenn ich auf meinem Balkon sitze und ins Grüne schaue, dann denke ich: Was für ein Glück! Ich habe eine schöne Wohnung, meine Kinder sind gesund, erste Enkel kommen zur Welt. Wie gut es mir geht! Ich hoffe sehr, Sie können das auch so sagen, wenigstens ab und zu, wenn die Sonne scheint.

Ich schäme mich manchmal in solchen Momenten und denke: Darf ich das eigentlich genießen, so viel Glück, wenn andere krank sind und allein, wenn sie nicht das Nötigste zum Leben haben und nicht wissen, wo sie bleiben können?

Zum Glück hat mich neulich Rupert Neudeck erinnert: „Man muss sich nicht schämen, glücklich zu sein!“ Rupert Neudeck: Mit der Cap Anamur hat er in den 70er Jahren Flüchtlinge aus dem Chinesischen Meer gerettet. Inzwischen ist daraus der Verein Deutsche Notärzte geworden, der Hilfe leistet in 55 Ländern.

Dieser Rupert Neudeck hat mich erinnert: „Man muss sich nicht schämen glücklich zu sein. -- Aber man kann sich schämen, allein glücklich zu sein!“ Das hat mir sehr eingeleuchtet. Es sagt mir: Wer nichts hat, kann auch nichts teilen. Aber wer glücklich ist, kann von seinem Glück abgeben. Dann wird das Glück mehr. Und andere werden auch glücklich. Glück wird nämlich nicht weniger, wenn man es teilt, sondern mehr.

Ich denke an die Ärzte und Schwestern und Pfleger und Hebammen, die jedes Jahr einen Teil ihres Urlaubs hergeben, oder sogar für einige Monate sich beurlauben lassen, um irgendwo in einem Krankenhaus in Afrika Menschen zu helfen. Ich denke an die jungen Leute, die ein soziales Jahr machen: Im Altenheim gute Laune verbreiten, die Anden aufforsten oder in einem Kinderheim traurige Mädchen und Jungen aufmuntern. Sie haben oft ein gutes, behütetes, glückliches Leben in unserem wohlhabenden Land. Und geben einen Teil davon her – ein paar Monate – um für andere da zu sein.

Gewiss, Jesus hat einem reichen jungen Mann geraten, er soll „alle seine Habe“ den Armen geben (Lk  ) Ich glaube, das ist nicht jedermanns Ding.
Soll man deswegen gar nichts tun? Wenn man nicht alles geben kann?

Ich meine, einen Teil abgeben – das kann man doch trotzdem. Die Nachbarin regelmäßig besuchen. Einer alten Frau vorlesen. Für Bedürftige in der Suppenküche kochen. Hausaufgabenhilfe. Patenschaften für Azubis. Es gibt viele Möglichkeiten, von seinem Glück abzugeben.

So meint das wohl auch der Apostel Paulus, der bei wohlhabenden Christen für eine arme Gemeinde gesammelt hat und geschrieben: „Euer Überfluss diene ihrem Mangel“ (2. Kor 8, 14) Ich glaube, das geht gut. Und man ist dann nicht allein mit seinem Glück.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21931
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