Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Mai: Der Wonnemonat der Liebe hat begonnen. Die Farben, die Sonne, die Wärme, die Hormone kommen in Wallung, Frühlingsgefühle nicht nur bei den ganz jungen Leuten: Das Leben blüht wieder auf und bei vielen auch die Liebe. Es liebt sich leichter, wenn es warm wird. Der Mai motiviert viele, nochmal einen Versuch zu starten, wenn die Liebe ein bisschen müde geworden ist. Ich wünsche jedem und jeder, dass Sie das erleben können.

Und wie ist das mit der anderen Form der Liebe, der christlichen Liebe, der Nächstenliebe? Die könnte ja auch manchmal so einen Mai vertragen. Denn auch die wird mit der Zeit müde oder friert ganz ein, wenn die Zeiten frostig und kalt sind. Dabei ist sie fraglos ein großartiges Kennzeichen der Christen: Die Liebe sei für ihn die überzeugendste Kraft des Christentums, weil sie sich nicht nur auf Familie und Landsleute bezieht, schreibt der Muslim Navid Kermani. „Die Liebe, die ich bei vielen Christen…wahrnehme…geht über das Maß hinaus, auf das ein Mensch auch ohne Gott kommen könnte. Ihre Liebe macht keinen Unterschied.“ [1]

Dieser Liebe, nicht bloß zu Familienangehörigen oder Freunden oder Landsleuten, sondern zu jedem, der Mensch ist und Hilfe braucht – dieser Liebe fühlen sich viele verpflichtet. Jesus selber hat immer wieder gesagt: Nur so wird euer Leben gut: Wenn ihr die Liebe weiter gebt an alle, die euch brauchen. Viele versuchen das. Bis heute.

Es gibt sie noch immer, diese Liebe, die allen gilt. In meinem Stadtteil zum Beispiel engagieren sich Hunderte für die Flüchtlinge bei uns und andere bei den Tafeln für Arme und Obdachlose.. Gott sei Dank. Aber: Auch die Nächstenliebe kann müde werden. Es ist anstrengend, sich für andere einzusetzen und Menschen in Not beizustehen. Manchmal ist es frustrierend, wenn es nicht vorangeht mit der Bürokratie. Manchmal ist es enttäuschend. Nicht alle Hilfsbedürftigen sind dankbar und sympathisch.

Kann man etwas tun, um auch die Nächstenliebe lebendig zu halten? Ich glaube, wir können einander Mut machen, nicht bloß die Schwierigkeiten zu sehen. Es gibt vieles, was gelingt. Gerade wenn man nicht auf die vielen sieht. Dann sieht man ja leicht nur noch das große Problem. Wenn man auf die einzelnen schaut, auf das Kind, das die schwierigen Rechenaufgaben endlich begreift. Eine Familie, die wieder zusammen findet. Die junge Frau, der einen Ausbildungsplatz bekommt. Ich finde, so wird die Nächstenliebe wieder lebendig und fängt an zu blühen. Und das nicht nur im Mai.


 

[1] Navid Kermani, Ungläubiges Staunen. Über das Christentum, München 2016, S. 169

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21927
weiterlesen...