SWR1 3vor8

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Einen Christen erkennt man am Singen. Nicht nur, hoffentlich. Aber jedenfalls auch. Das hat der Verfasser des Briefes an die Gemeinde in Kolossäa in der heutigen West-Türkei behauptet. Diesen Brief findet man in der Bibel im Neuen Testament und heute wird darüber in den evangelischen Gottesdiensten gepredigt.

Und warum sollen Christen singen? Weil Singen harmlos ist? Weil böse Menschen keine Lieder haben? Ich glaube kaum. Auch böse Menschen haben Lieder – das Gegröle mancher betrunkener Horden oder die kriegerischen Nazi-Lieder sind ein Beispiel dafür.

Ich glaube der Verfasser dieses Briefes meint etwas anderes. Ungefähr 30 Jahre nachdem Jesus gestorben und auferstanden war, schreibt er, was für ein Christenleben wichtig ist: Ertragt euch gegenseitig, steht da. Vergebt einander, haltet an der Liebe fest und orientiert euch an Gottes Wort. Nichts Besonderes eigentlich – so erwartet man das ja bis heute von Christen. Aber dann, mitten in diesen grundlegenden Ermahnungen kommt: „Singt! Singt Gott aus vollem Herzen.“ (Kol 3, 17)

Warum sollen Christen singen? Vielleicht, weil man beim Singen mehr sagen kann als mit Worten. Vor allem auch sich selber. Weil die Worte, die man singt, einen mehr anrühren. Lieder können einen neu beleben, wenn das Leben einem zu schaffen macht. Wenn die Liebe gescheitert ist und es so aussieht, als sei der ganze Glaube nur eine fromme Illusion – dann können Lieder einen tragen.

Ich selbst kann nicht so gut singen. Meine Stimme ist ein bisschen brüchig und die Melodie halten kann ich auch nicht immer. Aber mitsingen kann ich. Und ich singe gern mit anderen. Dann erlebe ich immer wieder, wie sehr mich ein Lied trägt und manchmal sogar ein Ohrwurm daraus wird. Manchmal geht mir ein Lied noch am Montag und Dienstag durch den Kopf. Wenn ich am Sonntag im Gottesdienst zum Beispiel gesungen habe: „Tobe Welt und springe, ich steh hier und singe, in gar sich‘rer Ruh…“ Und: „Gottes Wacht hält mich in Acht“: Dann singt das Lied in mir weiter: Ja, egal was geschieht, Gott wird mir beistehen. Und immer mal wieder kommt es mir in den Sinn. Die Melodie spült mir den Text wieder ins Gedächtnis, gerade dann, wenn mir vielleicht sonst die Worte fehlen und mir der Mut ausgeht.

„Ein Lied sagt mehr als tausend Worte“ sagen manche. Wahrscheinlich stimmt das. Lied und Text zusammen: die bewegen Kopf und Herz und Bauch. Den ganzen Menschen.

„Gottes Wacht hält mich in Acht“. Manchmal bleiben mir solche Worte im Ohr und melden sich immer wieder. Und wenn Worte längst verklungen sind, singt es in mir weiter, woran ich glaube.

 
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