Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Man reist leichter, wenn man nicht so viel Gepäck hat. Ich habe meistens zu viel.
Eine Anhalterin hat mich aber neulich ins Nachdenken gebracht. Sie hat an einem Winterabend an einer Tankstelle gestanden und hat mich gefragt, ob ich sie ein Stück mitnehmen kann. Hm. Anhalter mitnehmen ist nicht so meins. Abends sowieso nicht. Aber diese junge Frau hat ausgesehen, als sei sie auf der Walz. Ich habe nachgefragt: tatsächlich. Eine Bäckerin auf der Walz. Und schon war ich überredet und sie ist eingestiegen. Gepäck hatte sie kaum. Nur ihren Wanderstab und ein kleines Bündel mit Schlafsack, Wasserflasche und etwas Kleidung. „Das reicht“, hat sie gesagt. „Mehr brauche ich nicht.“ Nichtmal ein Handy? Nein, auch kein Handy. Handy ist tabu auf der Walz.

Drei Jahre und einen Tag wird sie unterwegs sein – so will es der alte Brauch. Zwischendurch arbeitet sie in einer Backstube, dann zieht sie wieder weiter.
Warum macht das eine junge Frau heutzutage? „Ich möchte ein bisschen rumkommen“, hat sie gesagt. „Leute kennen lernen, was dazulernen und die Freiheit genießen.“

Deshalb das kleine Gepäck. Wegen der Freiheit. Da ist nichts Überflüssiges dabei. Wer mit leichtem Gepäck reist, konzentriert sich automatisch auf das Wesentliche. Ablegen, was das Reisen schwer macht: das gehört dazu, wenn man sich auf die Wanderschaft vorbereitet.

Die alten Handwerker-Regeln legen fest, dass man schuldenfrei, ledig und kinderlos sein muss, um als Geselle auf die Walz zu gehen. Damit wollte man sicher stellen, dass keiner aufbricht, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Als die junge Bäckerin längst mein Auto verlassen hat, denke ich noch lange über sie und ihr kleines Bündel nach. Was könnte ich ablegen, was sollte ich ablegen, um wieder freier zu werden?

Im christlichen Glauben ist das ein alter Gedanke: du bist mit deinem Leben auf der Wanderschaft. Du kannst nicht alles mitnehmen. Brauchst du auch nicht. Übe abzulegen. Die Kleidung, die du längst nicht mehr trägst. Aber auch die Sorgen am Abend vor dem Einschlafen. Und den Groll von vor 10 Jahren, der immer noch manchmal hochkommt.
Ich übe jetzt abzulegen, was mich innerlich beschwert. Am besten gelingt mir das, wenn bete und es vor Gott ausbreite.

Das ist nichts, was von jetzt auf nachher klappt. Auf der Walz übt man das drei Jahre und einen Tag lang. Auf dem Lebensweg wahrscheinlich ein ganzes Leben lang.
Aber ich merke: es reist sich besser mit leichtem Gepäck

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21838
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