SWR2 Wort zum Tag

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In Süddeutschland und im Elsaß gab es über die Jahrhunderte hin zahlreiche jüdi-sche Gemeinden und vielfältiges, reichhaltiges jüdisches Leben – bis die Vernichtung durch die nationalsozialistische Barbarei allem ein Ende setzte.

Heute geben die jüdischen Friedhöfe noch von diesem Leben Zeugnis. Ich kenne viele und besuche sie immer wieder. Mit ihren für mich unleserlichen Inschriften erin-nern die oft eingesunkenen oder umgestürzten Grabsteine an Lebensgeschichten, an Menschenschicksale – und lassen sie zugleich im Vergessen verschwinden. Wie oft habe ich mich schon gefragt: Welcher Mensch zeigt sich und verbirgt sich hier?

Einer dieser Orte liegt im südbadischen Schmieheim – ein großer jüdischer Friedhof, hingeschmiegt an einen sanft ansteigenden, von Bäumen beschatteten Hang. Er strahlt trotz der nahen Straße eine große Ruhe aus. Fast 3.000 Menschen sind hier bestattet. Die ältesten urkundlich bezeugten Bestattungen gehen auf das Jahr 1682 zurück; Mayer Bloch, Salomon Moses und Hirz Levi hießen die Männer; zuletzt wur-de 1941 eine jüdische Frau mit Namen Henriette Meier hier bestattet.

Vor einigen Jahren ist das Werk eines israelischen Historikers veröffentlicht worden, in dem alle Grabstätten des Schmieheimer „Judengartens“ erfasst sind. Alle Men-schen die unter den Grabsteinen ruhen, sind darin identifiziert, mit Namen versehen. Die Steine reden. Menschen treten aus der Anonymität heraus: Kaufleute, Handwer-ker und Rabbiner; Alte und Junge; Eheleute und Verwitwete; ein Vater, der mit sei-nem sechsjährigen Kind verunglückt ist – irgendwann im 18. Jahrhundert. Sie haben gelebt, und sie sind gestorben in dem Vertrauen auf Gott, der „seine Güte nicht ent-zogen hat den Lebendigen und den Toten“. Dieses Bibelwort (Ruth 2,20) steht am Eingang des Friedhofs. Daran können keine Zerstörung und kein Vergessen rütteln.

Der Schmieheimer Judenfriedhof wurde 1987 schwer geschändet, so wie jüngst auch der jüdische Friedhof in Ihringen am Kaiserstuhl. Die Vernichtung jüdischen Lebens soll wohl immer wieder dadurch bekräftigt werden, dass die Gräber der jüdischen Toten zerstört werden. Um so mehr muss man es würdigen, wenn diese Menschen dem Vergessen entrissen werden, wie dies durch die Dokumentation über den Schmieheimer Friedhof geschieht. „Die Lebenden sollen die Toten erlösen“ – das ist ein Wort aus der jüdischen Theologie. Die Lebenden sollen die Toten dem Verges-sen, der Anonymität entreißen und ihnen ihren Namen, ihre Würde wiedergeben. Die Lebenden, füge ich hinzu, erweisen damit auch ihrer eigenen Würde einen Dienst. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2183
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