Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Le trottoir“: der Bürgersteig auf französisch. In der schwäbischen Variante: „das Trottwar“. Genau so heißt die Stuttgarter Straßenzeitung. Der Name ist Programm: Trott war einmal, so sagt mir einer der Verkäufer. Mit Hilfe von „Trott-war“, der „Straßenzeitung im Südwesten“, wie sie sich offiziell nennt, hat er seinen bisherigen  Trott hinter sich gelassen: Arbeitslosigkeit, kein Dach überm Kopf, fünf lange Jahre auf der Straße, Alkohol – das komplette Programm, Absturz im freien Fall!

Über einhundert Straßenverkäuferinnen und -verkäufer von „Trott-war“ können im Rahmen der mickrigen Freibeträge ihr Hartz-IV-Salär ein wenig aufbessern. Und einigen gelingt sogar der Sprung in die Festanstellung, allerdings nur, wenn sie mindestens fünfhundert Zeitungen pro Monat an den Mann oder die Frau bringen. Mehr als der materielle Wert wiegt für die Verkäufer das neue Selbstbewusstsein, endlich wieder eine Aufgabe zu haben und sich ihr täglich Brot selbst verdienen zu können. Weniger schön, erzählt mein Gesprächspartner, wenn man dann von Passanten angepflaumt wird, endlich doch „was Richtiges“ zu schaffen, statt hier auf Steuerzahlers Kosten unnütz herumzustehen. Das tut weh! 

Ich möchte Passanten in Stuttgart und anderswo ermutigen, mit den Verkäuferinnen und Verkäufern der Straßenzeitungen ins Gespräch zu kommen. Sie stehen draußen bei Wind und Wetter, in Hitze oder Kälte. Ein freundliches Wort, und schon blickt man in strahlende Augen. Als wär der Groschen gefallen, hat mir vor kurzem einer von sich aus seine Lebensgeschichte erzählt.

„Neige dem Armen dein Ohr und erwidere ihm freundlich den Gruß“, rät die Bibel (Jesus Sirach 4,8), und verbindet diese Aufmerksamkeit mit einer Verheißung: „Wenn du einen Armen siehst, wende deinen Blick niemals ab, dann wird Gott auch seinen Blick nicht von dir abwenden“ (Tobias 4,7). 

Den Blick nicht abwenden! Viele der Armen im Lande befürchten zur Zeit, dass man ihre Not angesichts der Flüchtlingstragödie übersieht. Man hat die Randsiedler der Gesellschaft ja zuvor schon kaum wahrgenommen. Nun haben rechtsgewickelte Hetzer leichtes Spiel, die einen gegen die anderen aufzumischen. 

Den Blick nicht abwenden! Das erwarte ich auch von der neuen Landesregierung. Sie muss trotz der Flüchtlingsnot auch die Armut im eigenen Land wirksam bekämpfen.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21788
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