Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“, diesen Ratschlag kann man immer mal wieder auf Spruchkarten oder Kalenderblättern lesen. Er stammt von dem italienischen Mönch Tommaso Campanella. Er fordert dazu auf, nicht nur davon zu träumen, wie das Leben sein könnte. Stattdessen sollte man alles tu, damit dieses erträumte Leben Wirklichkeit wird.

Tommaso Campanella hat seinen eigenen Ratschlag anscheinend befolgt. Er ist im 16. Jahrhundert als Sohn eines armen Schusters geboren und hat es zum Philosophen, Politiker und Schriftsteller gebracht – ein für die damalige Zeit ganz erstaunlicher Aufstieg.

Aber geht das immer so einfach: Seinen Traum leben? Ich denke, das ist ein Privileg, das nur ganz wenigen Menschen vorbehalten ist. Etwa, denjenigen, die ihr Hobby zum Beruf machen können, wie Sportler oder Musiker. Aber von denen leben auch nur die Erfolgreichsten ein traumhaftes Leben. Die allermeisten Profi-Jazzmusiker in Deutschland verdienen laut Künstlersozialkasse nicht mehr als 11.500 Euro im Jahr. Seinen Traum so zu verwirklichen, dass man auch davon leben kann, ist also gar nicht so einfach.

Den Ratschlag „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“ finde ich deshalb gar nicht so hilfreich. Wer die Gelegenheit dazu hat, so wie Tommaso Campanella und ein paar wenige andere, der sollte das auf jeden Fall tun. Aber ich will mir lieber einen anderen Spruch zu Herzen nehmen. Einen, den ich bei meinem Hausarzt im Behandlungszimmer gelesen habe. Dort steht: „Leben ist das, was passiert, während man auf seine Träume wartet.“ Ich verstehe den Spruch als eine kleine Warnung: Wenn ich meine, dass mein Leben erst dann so richtig losgeht, wenn sich meine Träume endlich erfüllen, dann warte ich vielleicht für immer darauf und verpasse so mein Leben.

Ich glaube, man hat nicht nur dann richtig gelebt, wenn man seine Träume verwirklicht. Es kommt im Leben auch auf andere Dinge an. Ich denke da an Carter Chambers, die Hauptfigur in Rob Reiners Film „Das beste kommt zum Schluss“. Carter wollte eigentlich Geschichtsprofessor werden und hatte auch das Zeug dazu. Aber dann wurde seine junge Frau schwanger. Um sie und das Baby zu versorgen, nahm er den erstbesten Job an, den er kriegen konnte. Er wurde Automechaniker, und ist das dann 40 Jahre lang geblieben. Carter denkt, er hätte etwas verpasst in seinem Leben. Aber am Ende erkennt er: Das vorauf es wirklich ankam, das waren die guten Beziehungen in seinem Leben – zu seiner Frau, zu seinen Kindern und Enkelkindern. Und die hat er gelebt, auch wenn sein Traum unverwirklicht geblieben ist.

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