Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Was Schmerzen sind, das weiß wahrscheinlich nur derjenige, der sie hat. Wie sie bohren, brennen, hämmern, stechen und dröhnen können. Glücklicherweise hören die meisten Schmerzen irgendwann einmal auf. Es gibt aber auch Menschen, die haben chronische Schmerzen. Sie müssen leben mit ihren Schmerzen. Und das bringt sie oft bis an die Grenzen ihrer Kraft.

Zu ihnen gehörte die mexikanische Malerin Frida Kahlo. 1907 in Mexiko geboren. Als Kind hatte sie sich mit Kinderlähmung angesteckt und blieb als Folge gehbehindert. Mit siebzehn hat sich bei einem schrecklichen Verkehrsunfall eine Eisenstange quer durch ihren ganzen Körper gebohrt, direkt neben der Wirbelsäule. Aber sie hat auch das überlebt. 39 Operationen und immer neue Gipskorsette, Stahlkorsette und Nägel am ganzen Körper. Sie hatte ständig Schmerzen. Mit Hilfe von Alkohol und Morphium hat sie sie ausgehalten. Und sie hat gemalt. Sich selbst und ihre Schmerzen. Weil sie so oft liegen musste, hat sie im Bett gemalt.  Vor sich eine kleine Staffelei. Über sich einen großen Spiegel, den ihr die Mutter übers Bett gehängt hat. So sind viele ihrer Selbstportraits entstanden. Bilder einer Schmerzensfrau. Einmal malt sie sich ein Halsband aus Dornen. Dann sieht man ihren Rücken mit zwei offenen, klaffenden Wunden. Ein anderes Mal malt sie sich von Lanzen und Nägeln durchbohrt, mit blutenden Wunden am ganzen Körper.

Das alles erinnert mich an Jesus, den Schmerzensmann. Frida Kahlo war keine Christin. Trotzdem hat sie in ihren Bildern dieselben Schmerzensmotive verwendet, die früher die Maler benutzt haben, um das Leiden Jesu darzustellen. Oft haben sie in ihre Bilder alle Schmerzen hineingemalt, die Menschen so haben können. Diese Bilder waren im Mittelalter ein Teil der Medizin für die Kranken. Sie haben davor gesessen oder gelegen. Sich den Schmerzensmann angeschaut. Und viele haben wohl Trost und Linderung dabei gefunden. Weil sie gespürt haben, - ich bin nicht ganz allein. Gott leidet mit mir meine Schmerzen. Gott wird mich heilen, wenn nicht jetzt, dann aber doch nach dem Tod.

Bei Frida Kahlo hätte diese Art der Medizin nicht geklappt und wohl auch nicht bei den meisten Menschen heute. Bei Frida Kahlo und bei den alten Malern habe ich aber eines gelernt: wer den Mut hat, die eigenen Schmerzen anzuschauen und sie auszudrücken, der wird auch oft das finden können, was immer noch heil und ganz und gesund und schön ist – trotz aller Schmerzen. Und wenn das geschieht, ich finde, das ist dann ist das wie ein Ausblick auf die Auferstehung. Mitten im Schmerz.

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