Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Gechillte Jugendliche und gläubige Christenmenschen passen auf den ersten Blick nicht zusammen. Sie scheinen auf den gegenüberliegenden Ufern eines Flusses zu stehen, über die kein Steg führt. Hier eine Jugendkultur, die abhängen, relaxen und alles total entspannt angehen will. Dort das Christentum mit seinen Geboten und Verboten, mit seinen ethischen Vorschriften und oft mit dem ganzen religiösen Leistungsdruck. 

Aber lässt sich beides so strikt voneinander trennen? Handelt es sich bei Glauben und Chillen tatsächlich um zwei fremde Welten, die nichts miteinander zu tun haben? 

Chillen kommt aus dem Englischen und bedeutet zunächst: kühlen, sich abkühlen. Auf die Jugendsprache hin abgeleitet: sich beruhigen, ausruhen, sich entspannen. Ich spüre daraus ein menschliches Grundbedürfnis nach Ruhe und Entspannung. 

Als Christ und Theologe kommt mir hier die Schöpfungsgeschichte der Bibel in den Sinn. Dort heißt es: „Am siebten Tag ruhte Gott, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte.“ In der Bildersprache der Bibel hatte Gott die eigentliche Schöpfungsarbeit nach sechs Tagen beendet. Am siebten Tag hört Gott auf zu arbeiten und ruht. Danach gehört dieser Ruhetag unverzichtbar zur Schöpfung, unverzichtbar zum Leben. Die Bibel verstärkt diesen Gedanken, wenn sie betont: „Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig!“ (Genesis 2,1-3) 

Ohne die Religion der Juden gäbe es keinen Ruhetag. Ohne das Christentum gäbe es keinen Sonntag. Er ist ein Geschenk Gottes für alle Menschen, ob sie gläubig sind oder nicht. Ein Geschenk Gottes für alle Menschen, auch wenn sie mit Religion nichts zu tun haben oder gegen Religion eingestellt sind. - Da kommt mir der vielleicht nicht ganz verwegene Gedanke: Hat Gott das Chillen erfunden? 

Der Sinn des Ruhetags ist: nach an-gespannt und oft auch über-spannt sein – sich ent-spannen. Es geht um Freizeit, eine freie Zeit, die mir selbst gehört und nicht von anderen bestimmt wird. Wer bei sich selber sein kann – gechillt im besten Sinn des Wortes – der kann auch ein Stück Menschsein erfahren. Wie ich die Bibel verstehe, geht es Gott nicht um sich, sondern um uns Menschen, um unser Glück und Heilsein. – Morgen ist wieder Sonntag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21646
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