Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Viele mögen das Wort „Sünde“ nicht. Sie verbinden damit Moral bzw. Unmoral und Instanzen wie die Kirche, die darüber wacht. Viele kennen dieses Wort nicht mehr. Sie akzeptieren, dass wir Fehler machen oder Irrtümer begehen – wollen aber keine moralische Wertung. 

Vor allem Kirchenleute beklagen, dass das Wort Sünde aus dem allgemeinen Bewusstsein weithin verschwunden ist. Dass das so ist kann ich gut verstehen, ja sogar begrüßen. Weil alles, was inflationär, was abgedroschen und floskelhaft gebraucht wird, auch nicht mehr wahrgenommen, nicht mehr ernst genommen wird. 

In einer beispiellosen „Erbsenzählerei“ hat meine katholische Kirche immer wieder ein moralisch verengtes System von Sündenkathalogen und Beichtspiegeln erstellt. Peinlich genau hatten die „Sünder“ zu prüfen: handelt es sich nur um eine „lässliche Sünde“, war es bereits eine „schwere Sünde“ oder gar eine „Todsünde“? 

Der ursprünglich griechische Begriff im Neuen Testament für Sünde ist „hamartia“. Das bedeutet: eine Sache verfehlen, ein Ziel nicht erreichen. Ich gehe davon aus: Alle Menschen sind sich darin gleich, dass sie glücklich sein wollen. Und wie ich die Bibel verstehe, will Gott nichts für sich, aber alles für uns – eben, dass unser Leben gelingt. Entsprechend der alten ethischen Frage: „Was tut dem Menschen gut?“ 

Dieses persönliche Ziel nicht erreichen – aus welchen Gründen auch immer – wäre demnach Sünde. Nicht gegen Gott, sondern gegen mich selbst. Allerdings lebe ich nicht alleine auf der Welt. Wie oft verfehlen wir die Achtung, den Respekt vor den Mitmenschen. Wie sehr verfehlen wir den Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, die wir fürs Überleben brauchen. – Doch bin ich überhaupt willens und fähig, meinen Beitrag dafür zu leisten? 

Mich tröstet, dass Gott um meine Hinfälligkeit und Begrenztheit weiß. So steht in der Bibel: „Wenn das Herz uns auch verurteilt – Gott ist größer als unser Herz.“ (1 Johannes 3,20) Das übersetze ich mit: Güte, Nachsicht, Barmherzigkeit. Vielleicht besteht mein Problem darin, dass ich noch nicht im Tiefsten begriffen habe, wie sehr ich von Gott geliebt bin. Ich kann mir vorstellen: Wenn ich das wirklich erfasst habe, dann wandelt mich diese Liebe von alleine um.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21644
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