Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Hier ruhen die Gebeine des heiligen Bischofs Severus, seiner Frau, der heiligen Vincentia, und seiner Tochter, der heiligen Innocentia. Wie bitte! – Ich war ganz schön überrascht, als ich vor dem eindrucksvollen Sarkophag in der Severikirche in Erfurt stand und das auf der Grabplatte gelesen habe. In einer katholischen Kirche der Sarkophag mit den Gebeinen eines Bischofs neben den Gebeinen seiner Frau und seiner Tochter – und alle drei heilig. Das hätte ich zuletzt vermutet. 

Severus war Bischof zu einer Zeit, in der der Zölibat, die Ehelosigkeit für Priester, noch nicht allgemein verpflichtend war.* Severus lebte im 4. Jh., war Bischof von Ravenna, seine Gebeine kamen im 9. Jh. nach Erfurt. 

Dazu fällt mir diese Empfehlung in der Bibel ein: „Der Bischof soll ein Mann ohne Tadel sein, nur einmal verheiratet, nüchtern und besonnen soll er sein, von würdiger Haltung, nicht streitsüchtig und nicht geldgierig, sondern rücksichtsvoll, gastfreundlich und fähig zu lehren.“ Und weiter heißt es: „Er soll ein guter Familienvater sein und seine Kinder recht erziehen.“ (1 Timotheus 3,1-7) 

Das Thema „Zölibat“ wird in meiner katholischen Kirche schon lange heftig diskutiert. Dabei erinnere ich mich an einen Spruch des Kirchenhistorikers Karl August Fink während meiner Studienzeit: „Was grundsätzlich möglich ist, kann nicht grundsätzlich unmöglich sein!“ Darunter verstehe ich: Von Menschen gemachte Gesetze und Einrichtungen mögen einmal ihren Sinn gehabt haben. Man kann sie beibehalten, aber auch verändern oder abschaffen, wenn die Verhältnisse dies nahelegen. Wenn sie ihren Sinn verloren haben. 

In diesem Zusammenhang halte ich etwas für wichtig: Eheliche Liebe, eine andere partnerschaftliche Liebe, Nächstenliebe und Gottesliebe sind keine Gegensätze. Sie schließen sich gegenseitig nicht aus. Und so haben die unterschiedlichen Lebensentwürfe auch mit Freiwilligkeit, mit freier Entscheidung zu tun. 

Ich habe vor 45 Jahren die Lebensform als Priester gewählt. Ich habe Licht- und Schattenseiten dieser Lebensform kennengelernt. Mitten unter den Menschen sehe ich meinen Platz und in meinem Dienst mit allerhand Freiheiten ausgestattet. Trotzdem wäre mir lieber, wenn man sich freiwillig zu dieser zölibatären Lebensform entscheiden könnte. Gerade auch, weil ich erleben musste, wie etliche wunderbare Kollegen wegen des Pflichtzölibats ihren Beruf, ja ihre Berufung wieder aufgegeben haben. Sie hätten meiner Kirche gut getan. Mich hat das jedesmal schmerzlich berührt. Was bei Bischof Severus vor 1600 Jahren möglich gewesen ist, das müsste doch auch heute möglich sein.

 *Formell verpflichtend wurde das Zölibatsgesetz auf dem 2. Laterankonzil 1139

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21642
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