Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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In meinem Stadtteil leben viele junge Leute. Fast jeden Sonntag wird im Gottesdienst ein Kind getauft, manchmal auch zwei oder drei. Wenn die Eltern oder Paten wollen, können sie dann im Gottesdienst ein Gebet sprechen. Vorige Woche hat ein frisch gebackener Patenonkel für den kleinen Tim gebetet: „Barmherziger Gott, lass ihn fröhlich aufwachsen und mach ihm die Welt hell mit deinem Licht“. Aber dabei ist er nicht stehen geblieben. Sein Gebet ging weiter: „Halte deine Hand schützend über alle Kinder der Welt, damit sie behütet aufwachsen können wie Tim.“ Amen, haben die Menschen im Gottesdienst dann gesagt. Amen das heißt: „So soll es sein!“

Mir hat das ans Herz gegriffen. Ich habe an die Kinder gedacht, die im Meer ertrinken, weil ihre Eltern keinen anderen Ausweg sehen als die Flucht. Ich habe an die Kinder gedacht, die an den Hotspots der Fluchtrouten zwischen Stacheldraht, bewaffneten Polizisten und ihren verzweifelten Eltern stehen und nicht verstehen, was da los ist. Und ich denke an Menschen, die ihnen die Sicherheit bei uns nicht gönnen und sagen: „Wir können uns nicht von Kinderaugen und Kindertränen erpressen lassen.“ Ich werde ganz verzagt, wenn ich daran denke. Wie soll das weiter gehen? Wie kann Gott das zulassen, dass Kinder zu Opfern von Kriegen und Gewalt werden, fragen manche. Und viele sagen: „Es ist einfach naiv, von Gott Hilfe zu erwarten. Entweder es gibt ihn nicht. Oder, wenn er solches Elend zulässt, dann brauchen wir ihn nicht. Und wenn er sich nur für die Kinder zuständig fühlt, die behütet im Stuttgarter Westen aufwachsen, dann kann er mir gestohlen bleiben.“

„Halte deine Hand schützend über alle Kinder der Welt, damit sie behütet aufwachsen können wie Tim“, hat der junge Patenonkel im Gottesdienst gebetet. Alle Kinder brauchen eine helle, eine lichtvolle Welt. Und mir fällt ein – hat Jesus nicht gesagt: „Ihr seid das Licht der Welt“? Er hat das denen zugetraut, die ihm nachfolgen und deshalb ihre Kinder taufen lassen. Ich gebe zu, es ist schwer, die Welt für alle Kinder hell zu machen. Ich verstehe, dass viele ratlos sind und meinen, dass das unmöglich ist. Aber man muss es doch versuchen? Jedes Mal, wenn einem Kind die Welt ein bisschen heller wird, ist das ein Erfolg! Deshalb bin ich froh, dass wir im Gottesdienst nach Tims Taufe noch ein Lied gesungen haben: Der Rechtsanwalt und Ratsherr Heinrich Held hat es vor über 350 Jahren gedichtet: Es ist auch ein Gebet und heißt: „Komm o komm du Geist des Lebens, wahrer Gott von Ewigkeit. Deine Kraft sei nicht vergebens, sie erfüll uns jederzeit. So wird Geist und Licht und Schein in dem dunklen Herzen sein“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21576
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