Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Kann man ungerührt bleiben, wenn jemand jammert?
Die Frage ist mir gekommen vor ein paar Tagen. In einem U-Bahn Tunnel bin ich einem Vater begegnet mit seiner kleinen Tochter. Sie heult und jammert. Will nicht mehr laufen, er soll sie auf den Arm nehmen und tragen. Aber er nimmt sie nicht auf den Arm. Obwohl sie das lautstark will. Stattdessen sagt er ruhig: „Nur noch drei Meter, das kannst Du.“ Und die Kleine geht selbst- unter Heulen und Protest - aber sie geht. Und dann sogar, Stufe um Stufe die U-Bahn Treppe hoch.

Die Szene mit Vater und Tochter beschäftigt mich: Ist es gefühllos, wenn man sich verhält wie der Vater? Oder ist es sogar genau so gut, auch für diejenigen, die nach Hilfe rufen. Weil es ihnen weiter hilft, wenn man sich nicht unmittelbar von Gefühlen zwingen lässt, sondern weiter denkt und tut, was langfristig gut tut. Also mehr hilft als wenn man dem Jammer direkt nachgibt.

Der Psychologe Paul Bloom findet, ja, nur Gefühle, in seinen Worten „empathy“ reichen nicht: Besser ist „compassion“.

„Empathie“, darunter versteht er: Einfühlen in die Gefühle, die der andere hat. Sein Leid empfinden als wäre es meines. Dann muss ich was tun, damit die schlechten Gefühle aufhören. Mit ‚Empathie‘ müsste der Vater seine jammernde Tochter auf den Arm nehmen. Besser als Empathie findet Paul Bloom „compassion“ – auf Deutsch „mit-leiden“.
(Interview Prof Bloom ZeitOnline 17.12. 2015)

Damit meint er: Ich sehe die Not des anderen und kümmere mich um ihn. Dazu muss ich mich fragen: Wie helf ich auf Dauer? Um das klar zu kriegen, muss man einen Schritt von den eigenen Gefühlen zurück machen. Darf sich nicht von ihnen über“mannen“ lassen. Wenn man so nachdenkt, ist man noch lange nicht herzlos. Vielleicht beweist man am Ende sogar mehr Herz für das Leid des anderen.

Wie das praktisch gehen kann mit der compassion, das hat für mich Jesus auf den Punkt gebracht. Der Barmherzige Samariter ist für mich ein Prototyp, wie kümmern geht.

Der findet auf seinem Weg einen Verletzten, den er nicht kennt. Aber er hält an. Stellt fest, der andere ist ausgeraubt worden, ist verletzt und braucht Hilfe. Dass er Hilfe braucht, ist für ihn Grund, sich zu kümmern. Und er macht es richtig gut: Er ergeht sich nicht in Gefühlen. Sondern: Er versorgt den Verletzten vor Ort. Dann lädt er ihn auf seinen Esel. Bringt ihn zu einem Gasthaus. Lässt Geld da, dass der Verletzte weiterversorgt wird. „Mit-leiden ist besser als ein-fühlen.“ Ich wäre froh, ich bekäme das auch so zusammen, wenn ich Not sehe: Herz, Kopf und Hände.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21497
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