Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Der Mann ist Ende 40. Familienvater, Ehemann, Angestellter in einer Firma. Für seine Kinder tut er alles. Ist stolz auf sie. Zuhause ist ihm nichts zu viel. Er macht, was ansteht. Kocht, putzt, kümmert sich. Seine Arbeit nimmt er mehr als ernst. Sein Chef kann sich 100%ig auf ihn verlassen. Ein ganz sympathischer Mensch sagen alle, die ihn kennen. Immer strahlend und freundlich. Mit wenig zufrieden. Jammert nie. Dankbar, wenn er Zeit findet, in Ruhe Zeitung zu lesen oder den Vögeln im Garten zuzuschauen.

Dass die Liebe zwischen ihm und seiner Frau verloren gegangen ist, weiß keiner. 20 Jahre lang immer wieder die gleichen Konflikte. Sie mag seine Familie nicht. Nach Besuchen dort beschimpft sie ihn. Was sie am Anfang ihrer Beziehung an ihm mochte, wirft sie ihm heute vor. Er schluckt, weiß sich nicht anders zu helfen. Damit die Kinder ihr Zuhause nicht verlieren, hält er still. Lässt sich beleidigen und demütigen. Wehrt sich nicht. Bis es nicht mehr geht. Das Maß ist voll. Der letzte Konflikt lässt das Fass überlaufen. Auch das wirft er sich noch vor. 

Es gibt einen ganzen Strauß von Themen, die in dieser kurzen Biografie auftauchen. Als erstes natürlich die Frage, wie Paare anders miteinander umgehen können, damit so etwas nicht passiert.

Mich selbst trifft am allermeisten, dass beide, der Mann und seine Frau gegenseitig ihre Würde verletzt haben ohne dass ihnen das bewusst geworden ist. Erst als die Liebe weg war. Jetzt fühlt er sich schuldig, weil er nicht mehr liebt. Sie steht hilflos vor den Scherben und wünscht sich, sie könnte ungeschehen machen, was geschehen ist.

Der Mann ist Christ. Hat unzählige Male in der Kirche gehört, dass jeder Mensch in den Augen Gottes einzigartig ist. Er weiß, dass die Würde jedes einzelnen Menschen in seiner Religion ganz wichtig ist. Und weint darüber, dass auch er seine Frau entwürdigt hat, wenn er sich nicht mehr anders zu helfen wusste. Seine Würde fühlen konnte er lange nicht. Damit ist er nicht alleine. Wenn ich im Bus sitze oder beim Einkaufen bin, frage ich mich ab und zu wie es den Leuten mit ihrer eigenen Würde geht. Manchmal kann man das in Gesichtern oder auch an der Körperhaltung erkennen. 

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das zu wissen, ist das eine. Seine eigene Würde zu fühlen ist ganz etwas anderes.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21429
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