Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Alles Schlechte ist zu was Gutem.“ Meine Großmutter pflegte diesen Satz zu sagen – immer dann, wenn einer aus der Familie mit irgendetwas „Schlechtem“ zurechtkommen musste. Ich finde diesen Satz bis heute schwierig. Diese Bemerkung soll ja trösten und Mut machen. Alles geht vorbei. Irgendwann kriegt auch der größte Schrecken einen Sinn. Diese Vorstellung hat etwas Tröstliches. Aber für Menschen, denen es schlecht geht, ist so ein Satz meistens grausam. Wer Angst hat oder trauert. Wer Schmerzen hat oder keine Perspektive für sein Leben, der will, dass jemand mit ihm fühlt und aushält. Ganz sicher will er nicht hören, dass alles Schlechte irgendwie gut ist.

Nein, als Lebensweisheit für dunkle Stunden taugt der Satz nicht. Er stimmt auch nicht in jedem Fall. Sagen dürfen ihn sowieso nur Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben. Wenn jemand schwer krank war und durch seine Krankheit etwas Wichtiges begriffen hat für sein Leben. Kann er davon erzählen. Wenn jemand zurückschaut auf eine schwere Zeit und erkennt, wieviel Kraft er hatte um auszuhalten und weiter zu leben. Dann kann er davon erzählen. 

Menschen die sich mit der großen Weltgeschichte beschäftigen, dürfen diesen Satz auch sagen: „Alles Schlechte ist zu was Gutem“. Ich finde, Historiker haben sogar die Pflicht, zu sagen, welche positiven Folgen bisweilen selbst unmenschlichste Verhältnisse haben. Als vor Jahren ein Freund über die positiven Folgen des Zweiten Weltkriegs redete, wollte ich das erst mal nicht hören. Er sagte: „Dass sich die Bundesrepublik so rasch zu einem demokratischen Staat entwickelt hat, ist ohne den Nationalsozialismus nicht denkbar.“ Heute bin ich sicher, er hat Recht. Allerdings gilt auch bei globalen Entwicklungen: Es dauert. Manchmal sogar sehr lange, bis sichtbar wird, welche guten Früchte aus schlechten Verhältnissen wachsen können. 

Es gefällt mir bis heute nicht, dass es das Leben ohne das Leid nicht gibt. Anerkennen kann ich es schon. Und ich verstehe inzwischen gut, was meine Großmutter mit diesem Satz sagen wollte: „Alles Schlechte ist zu was Gutem“. Hildegard Knef singt ihn so: „Dass es gut war, wie es war, das weiß man hinterher. Dass es schlecht ist, wie es ist, das weiß man gleich“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21427
weiterlesen...