Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Es ist viel passiert im Jahr 2015. Viel ist in der Welt passiert – aber auch im Leben jedes Einzelnen. Und manch einer nimmt sich heute, am letzten Tag des Jahres, die Zeit für einen ganz persönlichen Rückblick. Der fällt bei jedem anders aus. Aber eins dürfte bei vielen gleich sein: Auch im vergangene Jahr hat es neben Schönem auch Katastrophen, Krisen und Fehler gegeben. Und oft sind das die Dinge, die einen beim Rückblick beschäftigen und belasten.
Auch als der Apostel Paulus am Ende des Jahres 33 nach Christus auf sein zurückliegendes Jahr geschaut hat, hat er vor allem viel Belastendes gesehen. Er hat sich nämlich im Laufe dieses Jahres eingestehen müssen, dass er eine Menge falsch gemacht hat. Als strenger jüdischer Religionslehrer hatte er die noch kleine christliche Gemeinde leidenschaftlich bekämpft. Er hatte sie für eine gefährliche Sekte gehalten und versucht, ihre Mitglieder ins Gefängnis zu bringen. Aber dann ist ihm Jesus Christus in einer Art Vision begegnet. „Warum verfolgst du mich?“ hatte Jesus ihn gefragt. Und Paulus musste schlagartig erkennen, dass er total falsch gelegen hat.
Aber wie ist Paulus mit diesem Katastrophenjahr umgegangen? In einem seiner Briefe schreibt er: „Ich lasse das, was hinter mir liegt, bewusst zurück, [und] konzentriere mich völlig auf das, was vor mir liegt“ (Phil 3,13, Neue Genfer Übersetzung). Paulus bleibt also nicht bei dem, was war, hängen. Er verzweifelt nicht vor lauter Reue oder lässt sich von Schuldgefühlen lähmen. Er blickt nach vorne. Und das tut er, ohne zu leugnen oder klein zu reden, was geschehen ist. Immer wieder in seinen Briefen schreibt er ganz offen über seine Vergangenheit. Er steht zu dem, was war und blickt trotzdem nach vorne.
Ich glaube, Paulus hat das gekonnt, weil Jesus Christus ihn in dieser Vision nicht nur auf seine Fehler aufmerksam gemacht hat. Jesus hat ihm seine Schuld auch abgenommen. Den am Boden liegenden Paulus hat Jesus nicht dort liegen lassen. Er hat ihn auch nicht bestraft. Er hat Paulus aufgerichtet und hat den ehemaligen Christenverfolger damit beauftragt, von ihm weiter zu erzählen. – Als ob nichts gewesen wäre.
Es ist viel passiert im Jahr 2015. Die Silvestergottesdienste, die heute in vielen Kirchen stattfinden, laden dazu ein, auf all das zurückzublicken. In den meisten Gottesdiensten wird auch das Abendmahl gefeiert. Christen glauben: Beim Abendmahl kann jeder das erfahren, was Paulus erlebt hat: Dass Jesus Christus mir abnimmt, was schief gelaufen ist. Damit ich das Alte, das was war, hinter mir lassen kann. Wie Paulus kann ich mich dann ganz auf das einlassen kann, was kommt. – Als ob nichts gewesen wäre.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21169
weiterlesen...