Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Nein, meinen Hass bekommt Ihr nicht!“ Das hat der französische Radiojournalist Antoine Leiris geschrieben. In einem offenen Brief an die Terroristen des IS, die heute vor 4 Wochen in Paris seine Frau getötet haben. Sein Brief hat sich huntertausendfach im Internet verbreitet. Nicht nur weil sich damit ein Angehöriger der Opfer zu Wort gemeldet hat, sondern weil sein Brief ein zeitloses Dokument ist. Ein Dokument des Schmerzes und der Menschlichkeit. Ich möchte es heute morgen für sich sprechen lassen. Antoine Leiris schrieb:

„Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Kindes, aber ihr bekommt meinen Hass nicht. Ich weiß nicht, wer ihr seid und ich will es nicht wissen, ihr seid tote Seelen. Wenn dieser Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Bild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die meine Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben.

Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Vergesst es. Der Spieler bleibt im Spiel.

Ich habe sie heute morgen gesehen. Endlich, nach Nächten und Tagen des Wartens. Sie war genauso schön wie am Freitagabend, als sie ausging, genauso schön wie damals, als ich mich vor mehr als zwölf Jahren hoffnungslos in sie verliebte. Selbstverständlich frisst mich der Kummer auf, diesen kleinen Sieg gestehe ich euch zu, aber er wird von kurzer Dauer sein. Ich weiß, dass sie uns jeden Tag begleiten wird und dass wir uns in jenem Paradies der freien Seelen wiedersehen werden, zu dem ihr niemals Zutritt erhalten werdet.

Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Erde. Ich will euch jetzt keine Zeit mehr opfern, ich muss mich um Melvil kümmern, der gerade von seinem Mittagsschlaf aufwacht. Er ist gerade mal 17 Monate alt; er wird seinen Brei essen wie jeden Tag, dann werden wir gemeinsam spielen wie jeden Tag und sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge ein Affront für Euch sein, indem er glücklich und frei ist. Denn nein, auch seinen Hass werdet ihr nicht bekommen."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21007
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