Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Die Eichen und Buchen, die unsere Urgroßeltern gepflanzt haben, werden erst unsere Enkel ernten können.“ Das stand auf einem Schild, das ich auf einem Waldlehrpfad im Taunus entdeckt habe. Natürlich wusste ich schon, dass gesunde Laubbäume mehrere Jahrhunderte alt werden können. Aber es war ein abstraktes Wissen, mit mir und meiner Geschichte hatte das wenig zu tun.

Meine Urgroßeltern habe ich nicht gekannt, und sie haben auch keine Bäume im Taunus gepflanzt. Dennoch waren sie irgendwie dabei, als ich versonnen an der mächtigen alten Buche hochgeschaut habe. Auf einmal ist alles näher zusammengerückt. Nicht nur die Menschen früherer Generationen standen da quasi neben mir, sondern auch die, die heute ganz jung sind oder noch gar nicht geboren.

So deutlich hatte ich diese Verbundenheit noch nie gespürt, und ich glaube, es ist ein Zeichen dafür, dass ich älter werde. Solange man jung ist, möchte man sich abheben von denen, die vor einem da waren, und etwas Eigenes, Unverwechselbares werden. Es dauert lange, bis man realisiert, wie sehr man immer eingebunden und eingewurzelt bleibt in alles, was außerhalb von uns ist. Dass wir bei aller Einzigartigkeit ein winziger Teil der Schöpfung sind. Dazu gehört auch, dass ich anders wahrnehme, was andere tun – und getan haben. Sie haben die Bäume gepflanzt, die unsere Kulturlandschaft prägen und das Holz liefern für unsere Möbel. Sie haben Leistungen erbracht, von denen wir heute noch profitieren. Auch geistige Leistungen, Kunst, Musik, Literatur. Die Werte, die uns wichtig sind, haben wir nicht erfunden, sondern empfangen.

Wenn ich darüber nachdenke, was für mich das Wertvollste ist, das mir meine Eltern mitgegeben haben, dann kann ich klar sagen: es ist der Glaube, der sie getragen hat und der auch mich trägt. Ihr offenes Haus, ihre Großzügigkeit, ihr soziales Gespür, in all dem haben sie verwirklicht, was ihnen wichtig war und was sie geglaubt haben.

Es ist, wie gesagt, die Perspektive des Älterwerdens. Ich spüre, wie mein Lebensgefühl sich verändert und wie es mich verändert. Im Blick zurück macht es mich dankbar für alles, was ich mitbekommen habe. Im Blick nach vorn zeigt es mir, dass es auch auf mich ankommt, wie Menschen nach uns leben – und glauben.

 

 

 

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