Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Womit soll ich heute noch aufhören, wenn ich glücklich werden will?“ Das war die Schlussfrage in einem Interview, das eine Schweizer Journalistin mit Mathieu Ricard geführt hat. Er lebt als buddhistischer Mönch seit fast 40 Jahren in Tibet und übersetzt die Bücher des Dalai Lama ins Französische.[1] 

Glücklich werden, das ist ein großes Thema. Und jede Zeit, jede Kultur, jede Religion gibt darauf ihre eigene Antwort. Die Zeitschriften am Kiosk sind voll von Tipps und Ratschlägen, die mich glücklich oder wenigstens glücklicher machen sollen. Fast immer wird mir da gesagt, was ich dafür tun muss. Sport machen, die Figur und die Kondition in Form bringen, reisen, im Chor singen, zum Frühstück grüne Getränke mixen, ein Hobby suchen, Freundschaften pflegen, mich sozial engagieren. Vieles davon ist sinnvoll, klar, aber meist scheitert es daran, dass ich immer noch was und noch was tun soll. Und da soll mein Glück liegen? Es ist mir doch jetzt schon zu viel. Also schlage ich die Zeitschrift zu – und warte trotzdem auf die nächste Ausgabe mit neuen Tipps. 

„Womit soll ich heute noch aufhören, wenn ich glücklich werden will?“ Diese Frage lässt mich aufhorchen. Weil sie den Spieß einfach umdreht. Also: nicht überlegen, was ich alles noch tun sollte, sondern, was ich nicht tun sollte. Da fällt mir auch gleich so manches ein. Mich mit anderen vergleichen, zum Beispiel. Oder: ich könnte damit aufhören, im Kopf schon Probleme von übermorgen zu lösen, die vielleicht gar nie entstehen. Aufhören, mich um die Zukunft zu sorgen, ob die Rente reichen wird und wer mich einmal pflegen kann. Und ebenso aufhören, rückwärts zu leben und mich von der Vergangenheit bestimmen zu lassen. Aufhören, mich an Dingen abzuarbeiten, die ich nicht ändern kann. Aufhören, mir vorzuwerfen, dass ich nicht perfekt bin.  

Und was hat Mathieu Ricard geantwortet auf die Frage nach dem Glück? Der buddhistische Mönch sagte das, was ich in anderen Worten auch in der Bibel nachlesen kann und in den heiligen Schriften aller Religionen: Am glücklichsten werde ich, wenn ich dazu beitrage, dass andere glücklich werden. Deshalb muss ich erst mal alles vermeiden, was ihnen schadet oder was sie leiden lässt. 

Na, da fang ich doch gleich mal an, was für mein Glück zu tun – und für das der anderen. Heute.  



[1] Barbara Bleisch, in: Sternstunde Philosophie des SRF, auf Youtube zugänglich unter https://www.youtube.com/watch?v=CGlHR9hcb5A

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20936
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