Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Wir schaffen das!“ Sie kennen den Satz von Frau Bundeskanzlerin Merkel. Für viele ist er beinahe zu einer Bedrohung geworden. Ich glaube, das liegt daran, dass die Menschen, die das ärgert, gar nicht die dazu passende Frage gestellt haben: „Schaffen wir das – mit den Flüchtlingen, diesen Massen von fremden Menschen?“. In ihnen arbeitet eine ganz andere Frage. Nämlich: „Wollen wir das?“. Wollen wir tatsächlich, dass viele Tausende von fremden Menschen nach Deutschland kommen? Für mich ist genau das aber die Gretchenfrage in der ganzen Debatte um die Zuwanderung. Wollen wir freundlich sein, ein Land mit Willkommenskultur? Wollen wir, dass unser Land, unsere Gesellschaft und damit unser Leben hier vielfältiger werden? Oder wollen wir, dass alles so bleibt, wie es ist? Diese Frage beantwortet die Bundeskanzlerin jedoch nicht. Sie kann ja auch nicht gut sagen: „Ja, wir wollen das!“. Das würde viele all zu sehr vereinnahmen. Und darauf reagieren die Leute erst recht allergisch.

Ich habe mir manchmal in den letzten Wochen an den Kopf gegriffen. Was sollen denn die ganzen Befürchtungen, das könnte zu viel werden oder zu teuer? Die Menschen, die zu uns kommen, sind nicht bloß eine Belastung. Sie werden am Anfang zwar etwas kosten. Aber ganz bald sind sie auch ein Potential. Sie werden bei uns arbeiten. Sie bezahlen unsere Rente mit. Sie haben neue Ideen und Fähigkeiten. Das ist eine ungeheure Chance für unser Land. Und es könnte durchaus sein, dass wir diese Chance brauchen. Ich weiß, dass es auch bei uns Menschen gibt, die arm sind. Wenn es Kinder oder Alte betrifft, ist das bitter. Trotzdem muss fast niemand bisher auf irgend etwas verzichten. Alle Züge fahren. Das Licht brennt. Die Löhne und Renten werden bezahlt. In Stuttgart habe ich in einer Straße ungefähr zwanzig neue Verkehrsschilder gesehen, die die Geschwindigkeit von 50 auf 40 begrenzen; ein Heidengeld kostet das. Überall wird gebaut und saniert. Wenn die Herausforderung aber doch so riesig ist, weshalb kommt dann nicht in Betracht, auf etwas zu verzichten? Das ist für mich die eigentliche Frage, die hinter der ganzen Debatte steht: Wollen wir, wenn es hart auf hart kommt, mit den Flüchtlingen zu teilen. Wollen wir eine schwarze Null im Finanzhaushalt oder Menschen in Not helfen? Das muss keine Alternative sein. Ich halte es sogar für fatal, das eine gegen das andere auszuspielen. Doch wenn ich vor die Frage gestellt werde, ist meine Antwort klar: Ich will teilen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20835
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