Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Irgendwann wurde es einfach Zeit, auch das alte Kinderzimmer zu renovieren. Dabei habe ich nicht schlecht gestaunt. Sie waren tatsächlich noch alle da: der alte verwaschene Lieblingsteddy, die Blechdose mit den zerkratzten Spielzeugautos, die Kinderbibel – und sogar ein paar alte Schulhefte. Und mit ihnen waren auch die Erinnerungen an früher wieder da: an das Spielen mit den Geschwistern, die Gute-Nacht-Geschichte im Bett und das Gebet vor dem Einschlafen.
Das waren noch Zeiten! Ohne Sorgen, ohne Beziehungsstress und auch ohne Leistungsdruck im Beruf. Als Kind weiß man noch nichts von Naturkatastrophen, von verhungernden und flüchtenden Menschen und von der Brutalität der Welt. Irgendwie ist es da auch ganz einfach an Gott zu glauben. Eine Nachbarin sagte erst neulich zu mir: „Ja, früher habe ich auch geglaubt. Als Kind bin ich abends beruhigt mit dem Gedanken eingeschlafen, dass Gott ja auf mich aufpasst.“
Dieser Satz ließ mich nicht mehr los: „Ja, früher hab ich auch geglaubt.“ Warum nur früher? Warum heute nicht mehr? Ich merkte der Frau ja an, dass sie sich im Grunde danach sehnte, so unbefangen wie damals auf Gott vertrauen zu können. – Sind es wirklich die Enttäuschungen und Verletzungen unseres Lebens? Oder hat sich vielleicht einfach der Alltag mit seinen Anforderungen in den Vordergrund gedrängt. Irgendwie kommt Gott dabei gar nicht mehr vor. Wir leben, als gäbe es ihn gar nicht, ohne zu Ende geklärt zu haben, ob das so ist. Er scheint einfach nicht mehr zum Leben eines Erwachsenen zu passen. Aber stimmt das denn wirklich?
Auf der wiederentdeckten Kinderbibel war übrigens ein Bild von einem Hirten mit einer Schafherde. Es sollte den Psalm 23 illustrieren. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ heißt es dort. Auch dieser Psalm gehört zu dem, was viele aus ihrer Kindheit oder Jugend noch kennen. David, der Mann, der ihn verfasst hat, ist aber kein Kind, sondern ein Erwachsener. Er musste sich nicht nur in der rauen Alltagsarbeit eines Hirten bewähren. In späteren Jahren war er einer der mächtigsten Könige des Vorderen Orients. Er musste als Politiker entscheiden und als Feldherr kämpfen. Er musste erleben, wie er Opfer schlimmster Intrigen wurde. Sein Leben mit Höhen und Tiefen war wahrhaftig kein Kinderspiel. Er konnte es gestalten und bestehen, weil er wusste: Über mir steht Gott, und mein Leben ist in seiner Hand.
Ich bin überzeugt, es lohnt sich, diesen alten Psalm wieder hervorzuholen und zu bedenken. „Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20806
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