Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Sorgen machen einen unruhig. Sie kennen das wahrscheinlich auch. Man kann nicht mehr schlafen und die Unruhe lähmt einen. Man fühlt sich überfordert und die Welt scheint einem irgendwie dunkel und bedrohlich. Man sieht überall Risiken und Gefahren und ist damit beschäftigt, sich abzusichern. Derweil werden die Sorgen bloß immer größer.
Jesus wollte den Menschen ihre Sorgen nehmen. „Macht euch keine Sorgen um den kommenden Tag“ hat er gesagt, „der wird schon für sich selber sorgen. Es reicht, dass jeder Tag seine eigenen Schwierigkeiten hat.“ (Mt 6, 34) Aber wenn ich mir das selber sage oder gar anderen, dann merke ich: Das ist leicht gesagt. Aber ich kann sie ja nicht einfach abstellen, die Sorgen, die mich so unruhig machen. „Macht euch keine Sorgen!“, das klingt mir dann irgendwie leichtfertig und naiv.
Ein Bilderbuch für Kinder hat mir einen Weg gezeigt, der aus den Sorgen heraus führen kann. Wolf Erlbruch hat es geschrieben und gezeichnet. Es heißt „Frau Meier die Amsel“[1] und handelt von Frau Meier, die sich Sorgen macht: Ob sie etwa zu wenig Rosinen für den Kuchen genommen hat. Ob womöglich eines der Flugzeuge abstürzen könnte, die ab und zu über ihren Garten fliegen. Ob dann das Radieschenbeet verwüstet wäre. Und ob sie dann genug Mullbinden und Heftpflaster hätte für die Passagiere.
So ging das Tag um Tag, erzählt das Bilderbuch. Bis Frau Meier eines Tages bei der Gartenarbeit etwas Kleines findet. Nackt, auf dem Bauch, mit dicken blauen Augenlidern und gelb umrändertem Schnabel. Ein kleiner Vogel! Frau Meier beschließt, ihn aufzuziehen. Und nun hat sie wirklich allen Grund zur Sorge. Sie vergisst die Radieschen und die Flugzeuge, die Rosinen, die Mullbinden und die Heftpflaster. Nun hat Frau Meier nämlich zu tun. Kleine Vögel sterben, wenn man sie nicht ununterbrochen mit Fliegen, Raupen und Mücken füttert. Das tut Frau Meier. Und als das Vögelchen groß genug ist, bringt sie ihm sogar das Fliegen bei. Man glaubt gar nicht, was alles möglich ist, findet sie da.
Ich bin ganz hingerissen von diesem Bilderbuch. Denn es hat mir gezeigt: „Macht euch keine Sorgen“ heißt nicht: Kümmert euch nicht. Im Gegenteil: Frau Meier kümmert sich um den kleinen Vogel – Tag und Nacht. Geduldig und beharrlich tut sie für die kleine Amsel, was sie tun kann. Ich begreife: Sich Sorgen machen – das lähmt. Aber sich kümmern: das entlastet einen. Wenn man etwas tun kann, dann werden die Sorgen weniger. Ich kenne das. Und auch die Erfahrung von Frau Meier: Es wird einem federleicht davon.


[1] Wolf Erlbruch, Frau Meier, die Amsel, Peter Hammer Verlag 20135

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20632
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