Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ein Freund von mir gibt Flüchtlingen Deutschunterricht. Eine Sängerin aus meinem Chor organisiert seit einigen Monaten für eine palästinensische Flüchtlingsfamilie alles Nötige für den Alltag und bezahlt sogar die Miete für deren Wohnung. Ich könnte die Liste von helfenden Menschen und Aktivitäten für Flüchtlinge beinahe endlos fortsetzen. Jeden Tag lese ich in der Zeitung von einem neuen Angebot für Flüchtlinge, das die Menschen in ihren Dörfern oder Städten machen. Die vielen Initiativen sind beeindruckend. 

Die andere Seite gibt es auch. Häuser werden angezündet, damit dort ja keine Flüchtlingsfamilien einziehen können. Menschen demonstrieren gegen die deutsche Flüchtlingspolitik und äußern unverblümt ihren Ärger über die ungebetenen Gäste. 

Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die uns da gestellt wird. Flüchtlinge willkommen heißen. Sie kennenlernen, mit dem versorgen, was sie lebensnotwendig brauchen. Ihre vielen schrecklichen Geschichten anhören und ernst nehmen. Sie freundlich aufnehmen mit ihrer Kultur und Sprache. Und gleichzeitig im Blick behalten, dass manche nicht freundlich und aufnahmebereit sind gegenüber dem großen Strom von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen. Manche glauben, den Flüchtlingen geht es bald besser als ihnen selbst. Manche haben Angst vor Überfremdung. Es hilft niemandem, wenn wir diese Befürchtungen und Sorgen nur abwehren und die Menschen, die sie äußern beschimpfen. Denn es ist ja tatsächlich so. Bei der Integration so vieler Menschen, die andere Sprachen sprechen und eine andere Kultur mitbringen muss viel eingesetzt und beachtet werden, damit das gelingt. Aber in Deutschland haben wir viel Erfahrung mit solchen Aufgaben. Heute feiern wir die Wiedervereinigung. Auch in diesem Integrationsprozess ist viel gelungen und sind Fehler gemacht worden. Und über beides wird nachgedacht. Das macht Mut für die große Aufgabe, so viele Flüchtlinge aufzunehmen. Ich muss nicht einseitig dafür oder dagegen sein. Ich kann bewundern, wie unermüdlich alles mobilisiert wird, was gebraucht wird. Ich kann selbst nach Kräften helfen. Und ich kann äußern, welche Befürchtungen ich habe. Ich kann meine Meinung sagen, die Meinungen von anderen hören und so dazu lernen. Und ich muss aushalten lernen, dass große Fragen in der Regel nicht schnell beantwortet werden können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20584
weiterlesen...