Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Du musst nicht traurig sein. Das wird schon wieder.“ Wir meinen es gut, wenn wir das sagen, häufig zu Kindern, aber nicht nur. Mir stellen sich die Nackenhaare, wenn ich das höre. Schon als Kind habe ich diese Sätze nicht verstanden. Wenn ich traurig bin, bin ich es. Damit kann ich doch nicht einfach aufhören. Wenn ich weine, muss ich weinen, sonst wären die Tränen nicht gekommen. 

Später als Erwachsene habe ich dann begriffen, wie schwer es mir selbst fällt, auszuhalten, wenn jemand weint und traurig ist. Ich habe mich nicht gerne hilflos und ohnmächtig gefühlt. Wollte lieber helfen, irgendwie trösten, Mut machen. 

Inzwischen habe ich regelrecht gelernt zu ertragen, dass ich manchmal ohnmächtig bin, nicht jedem helfen kann. Wenn mir das schwer fällt, bitte ich die himmlischen Kräfte, mir tragen zu helfen. Ich weiß, dass sich etwas verändert, wenn ich mitfühle ohne mit zu leiden. Dazu ein kleines Beispiel aus der Grundschule, an der ich Lehrerin bin. Emma ist Erstklässlerin. Von Anfang an war sie viel allein, hat wenig Kontakt gefunden. Das ist immer schlimmer geworden. Bis mir an einem Morgen aufgefallen ist, dass Sie über ihrem Arbeitsheft sitzt und sinnlos Striche malt. Innerlich war sie ganz wo anders. Ich hab mich neben sie gesetzt und einfach gesagt: Ich sehe, dass du traurig bist Emma. Willst du sagen, warum? Zuerst hat sie den Kopf geschüttelt. Dann hat sie heftig und lange geweint. „Ich bin so allein. Das war auch im Kindergarten schon so“ ist es aus ihr heraus gebrochen. Ich bin bei ihr geblieben bis es vorbei war und habe ihr gesagt, dass ich mir vorstellen kann, wie schlimm das für sie ist. Mehr nicht. Seitdem geht es ihr besser.

Es hat gereicht, dass ich gesehen habe wie traurig sie ist, dass ich ihr das gesagt und mit ihr gefühlt habe. Mit ihr gelitten habe ich nicht und mir so den kleinen Abstand bewahrt, den ich brauche wenn ich mit jemandem aushalte, was er fühlt. Kinder können meistens schneller hinter sich lassen, was sie gequält hat. Aber auch Erwachsene brauchen oft nicht viel mehr. Das zeigen die vielen Heilungsgeschichten in der Bibel. Jesus hat es meisterhaft verstanden, Menschen zu vermitteln: Ich sehe dich in deiner Not. Ich nehme dich ernst und höre dir zu. Ich fühle mit dir und vertraue auf die Kräfte, die dich heilen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20581
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