SWR2 Wort zum Tag

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Ein Containerdorf der Caritas in Jordanien. Christliche Flüchtlinge aus dem Irak leben hier. Ein junger Mann trägt in gewähltem Englisch eine kurze Rede vor. Weil er so aufgeregt ist, hat er sie aufgeschrieben. Zuerst bedankt er sich höflich bei dem deutschen Bischof und seinen Begleitern, dass sie sich ein Bild machen wollen von der Situation, in der die Flüchtlinge hier leben. Viele Frauen und Männer aus dem Camp kommen näher und hören angespannt zu. Wie sie schauen und reagieren, zeigt, dass der junge Mann auch von ihnen spricht, wenn er seine eigene Lage schildert.

„Letztes Jahr“, sagt er, „war ich noch Student an der Hochschule für Pharmazie in Mossul. Jetzt bin ich staatenlos. Haben Sie den Unterschied wahrgenommen? Ich habe ganz einfach meine Zukunft verloren. Ich bin jetzt im 22. Lebensjahr, ich habe weder eine Studienmöglichkeit noch Arbeit. Keine Aussicht und keine Zukunft. Können Sie fühlen, was ich jetzt fühle? Wissen Sie, in welcher psychologischen Verfassung ich jetzt lebe?“ 

Bisher hat er zurückhaltend und leise gesprochen. Aber jetzt bricht es aus ihm heraus: „Ich will keine ermutigende Antwort. Erzählen Sie mir nicht, was Sie für große Leute sind, weil sie solche belastenden Situationen aushalten müssen. Ich habe keine Lust, solche Worte zu hören. Was ich wirklich will, ist, dass Sie mir helfen, wieder nach meiner verlorenen Zukunft zu suchen. Ehrlich – ich möchte weit weg von den arabischen Ländern arbeiten und meine Zukunft wieder aufbauen. Wir haben in den arabischen Ländern gelitten unter Mord und Entführung, unter Rassismus und unter dem Mangel an jeglicher Achtung. Wir können nicht mehr. In allererster Linie wollen wir auswandern. Und zwar so bald wie möglich. Wir haben keine Kraft mehr.“ 

Bitter ist das, was wir hier hören. Und das begegnet uns immer wieder im Gespräch mit den vertriebenen Christen: Warum werden sie, deren Existenz im Nahen Osten nach einer zweitausendjährigen Geschichte vernichtet wird, alleine gelassen? Warum ist das christliche Europa, warum ist Deutschland, warum sind die Kirchen hier nicht in der Lage, ein paar Tausend versprengte Christen aus ihrer aussichtlosen Situation in den Flüchtlingslagern herauszuholen, wo es doch allein in Deutschland in kürzester Zeit möglich ist, Hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen? 

„Seien Sie nicht so schwach, verharmlosen Sie unsere Probleme nicht, sondern lösen Sie sie“, sagt der junge Mann. Die Leute, die zuhören, spenden Beifall, viele weinen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20569
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