Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Guten Morgen. „Ich brauch keine Kirche“. Hat vor kurzem ein junger Mann zu mir gesagt. „Ich glaube an Gott und bete, aber dafür brauche ich keine anderen, keinen Gottesdienst und auch keine Kirche. Im Gegenteil: Glauben kann man nur selber, das ist privat.“ Hat der junge Mann Recht? Die genaue Gegenmeinung hat ein erwachsener Mann geäußert: „Kirche ist ein Gebilde, das dem einzelnen Menschen erst möglich macht, gläubig zu sein und man selbst zu werden.“ (H. Joas)
Der junge Mann braucht keine Kirche, für den Erwachsenen macht sie dem Einzelnen erst möglich zu glauben. Wie erleben Sie das? Vor 30 Jahren hätte ich sicher dem jungen Mann zugestimmt, heute finde ich, dass der Ältere mindestens genauso Recht hat. Vielleicht stimmt aber auch beides nur zusammen.
Ein bisschen ist es ja mit dem Glauben wie mit dem Reiten. Ja, Sie haben recht gehört, dem Reiten. Wenn man reiten will, muss man sich schon selbst aufs Pferd trauen. Man kann nicht reiten lassen. Genauso wenig kann man andere oder „die Kirche“ für sich glauben lassen. Man muss sich selber trauen zu glauben. Probieren, wie man damit durch die Höhen und Tiefen des Lebens kommt und durch den Alltag.
Aber das andere ist auch richtig. Man fängt als Glaubender nicht bei Null an. Muss den Glauben nicht neu erfinden. Ich stehe auf den Schultern von vielen Christenmenschen vor mir und profitiere von dem, was sie von und über Gott in ihren Leben gelernt haben. Z.B., dass Gott nicht mit Gewalt seine neue Welt schafft, sondern mit Liebe. Gut dass ich in dieses Grundwissen einsteigen kann.
Wie beim Reiten. Stellen Sie sich vor, es gäbe nicht die lange Geschichte der Reiterei: Die vielen Erfahrungen, die Menschen seit Jahrhunderten mit Pferden gesammelt haben und weiter gegeben: Wie man sie züchtet, wie man sie ausbildet und mit ihnen als Mensch umgeht. Dieses Erfahrungswissen ist da, ohne dass jeder, der reiten will, das alles selber wissen muss. Aber ohne es könnte kein Mensch sich länger als 10 Sekunden auf einem Pferd halten. Z. B. als Jockey bei der Rennwoche in Iffezheim, die zurzeit grade stattfindet.
Wie gesagt: Wie beim Glauben: Ohne die vielen Gläubigen vor uns, würden wir vielleicht immer noch an Gott im Donner glauben. Oder Könige als Götter verehren. Und nicht Gott, der das Leben trägt und seine Geschöpfe liebt, auch wenn wir aus der Spur laufen. Die Kirche bringt mir dieses Geschenk aus Jahrhunderten. Aber mich kann dieser Glaube nur tragen, wenn ich das Geschenk selber annehme und auch auspacke.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2053
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