SWR1 3vor8

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„Und sie brachten zu ihm einen Blinden, und baten ihn, dass er ihn anrühre….Da sah er deutlich und wurde wieder zurecht gebracht, so dass er alles scharf sehen konnte.

Manchmal ist man irgendwie blind für die Menschen um einen herum und man merkt es nicht mal. Man sieht nur die raue Schale, nur die großartige Fassade und lässt sich einschüchtern. Man sieht nur das alberne Betragen, die aufgemotzte Kleidung und schon ist klar – der ist nichts für mich. Weil man nicht sehen kann, wie der andere eigentlich ist, bleibt man sich fremd.
Manche sagen, man muss einen Schritt zurück treten. Dann hat man einen besseren Überblick und kann sachlich urteilen. Überlegen ob es sich lohnt, sich mit dem Menschen näher einzulassen.
Heute wird in den evangelischen Gottesdiensten über eine Geschichte gepredigt, die zeigt etwas anderes: wenn es um Menschen geht muss man sich anrühren lassen. Erst dann kann man sehen, was eigentlich los ist mit dem anderen. Erst wenn man sich anrühren lässt, sieht man wirklich gut.
Die Bibel zeigt das am Beispiel eines Blinden. Der konnte sich kein richtiges Bild von den Menschen machen. Er konnte sie gar nicht oder nur schemenhaft sehen. Wie Bäume erschienen sie ihm. Entsprechend verhielt er sich. Wahrscheinlich hatte er Angst vor ihnen. Den brachten sie zu Jesus. Und der rührte ihn an. Das war für den Blinden wahrscheinlich gar nicht so angenehm. Jesus bestrich ihm seine Augen mit Speichel. Es ist manchmal unangenehm, wenn einen etwas anrührt. Aber auf einmal konnte der Mann wieder sehen. Die Menschen sehen, wie sie wirklich sind.
Damit man sehen kann, was eigentlich los ist, muss man sich anrühren lassen, verstehe ich. Ich denke an Matthias, den großen Jungen, der so verschlossen ist, maulig und abweisend – bei genauem Hinsehen ist er einfach schrecklich schüchtern und will sich die Menschen vom Leib halten mit seinem schroffen Reaktionen. Um das zu begreifen, muss man sich von ihm anrühren lassen. Sich eben nicht von ihm abweisen lassen, sich nicht enttäuscht von ihm abwenden und ihn aufgeben, sondern freundlich ihm nah bleiben. Das ist mühsam und nicht immer angenehm, manchmal verletzt er einen sogar - aber nur so hat Matthias die Chance aufzutauen und kann vielleicht seine Scheu verlieren.
Was wirklich mit einem Menschen los ist, sieht man oft nur, wenn man sich anrühren lässt.
Vielleicht muss man sich dazu auch von Jesus anrühren lassen. Denn der hat gezeigt, dass in jedem Menschen mehr steckt als das, was man aus der Distanz sieht. Man braucht Geduld, damit man es sieht. Liebe. Liebe die dem anderen hilft, aus sich heraus zu gehen. Damit sich zeigen kann, wie er wirklich ist. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2052
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