Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Bitte lasst das mit dem Fotografieren.“ Erstaunlich, wenn so was ein Filmstar sagt. Der lebt doch davon, dass sein Gesicht bekannt bleibt. Benedict Cumberbatch hat trotzdem seine Fans aufgefordert: „Lasst es bleiben.“
Sie kennen ihn vielleicht als Sherlock Holmes aus dem Fernsehen. Zurzeit spielt er Theater in London, Hamlet.
Und jeden Abend wurde er hunderte Male geknipst. Aber die roten Lichtpunkte aus dem Publikum, jedes Mal wenn ein Foto geschossen wurde, haben ihn irritiert. Schließlich hat er seine Fans dringend aufgefordert, das Fotografieren zu lassen. „Wenn ihr mich so irritiert, kann ich Euch nicht das geben, was ich Euch geben möchte, ein einmaliges Erlebnis: Ich bitte Euch, nehmt meinen Hamlet in Eure Köpfe, nicht auf Eure Telefone,“ hat er sinngemäß gesagt.
Ich kann ihn verstehen.
Andererseits verstehe ich auch die Fans. Ich fotografiere auch gerne. Will Erlebnisse fest halten. Weil ich die Erfahrung gemacht habe. Fotos helfen meinem Kopf, Erinnerungen wieder lebendig zu machen. Manchmal kommt die Erinnerung sogar erst durch ein Foto wieder. Sogar der Seele kann es auf die Sprünge helfen. Wie ein Katalysator ruft es die Gefühle aus der Vergangenheit wach. Der Kopf allein hätte es vergessen. Also so einfach wie Cumberbatch es gesagt hat, finde ich es nicht: „Behaltet meinen Hamlet im Kopf, nicht auf Euren Telefonen.“
Kann man beiden gerecht werden? Dem, der nicht irritiert werden will und den vielen, die ein Erlebnis bewahren wollen vor dem Vergessen?
Diesen Konflikt gibt es ja oft. Auch in der Kirche. Es wird fleißig fotografiert bei Taufen, Hochzeiten und inzwischen auch bei Beerdigungen.
Viele Pfarrer und Pfarrerinnen untersagen das und fordern auf: „Seid richtig dabei. Mit dem Herzen. ohne Kamera vor der Nase.“
Aber kann man sich dann noch erinnern, später, ohne Foto?
Ich glaube, man kann beidem gerecht werden. Das Foto kann ein wenig warten. Man kann etwas nachstellen. Das ist bei Benedikt Cumberbatch dasselbe wie bei der Taufe oder beim Foto von einem Sonnenuntergang:
Zuerst muss ich still sitzen und mit dem Herzen wahrnehmen, was da Großartiges und Wichtiges passiert. Wenn ich das nicht live erlebe, sehe ich auf dem Foto auch später nur Figuren, nichts, was wirklich was bedeutet. Wenn das tiefe Erlebnis gestört worden ist durch übereifriges Knipsen, dann kann ich es später auch nicht nacherleben. Ein Foto kann warten. Das Live-Erleben nicht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20475
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