Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich habe noch nie eine so geschmacklose Beerdigung erlebt!“. Aufgebracht hat mir die ältere Dame von der Trauerfeier für ihren Neffen erzählt. Ein gutes Leben habe der gehabt, eine glückliche Ehe, eine harmonische Familie. Und dann ist er plötzlich gestorben mit Anfang 60.
„Das war für uns alle ein Schock“, erzählt die alte Dame. Schließlich stand ihr Neffe immer auf der Sonnenseite des Lebens. Aber ein noch größerer Schock sei dann für sie die Beerdigung gewesen.
„Was war denn so schockierend an der Beerdigung?“, habe ich gefragt. Da hat sie erzählt. Von der Trauerhalle, in der die Stühle weggeräumt und Stehtische aufgestellt waren. Von den Sektgläsern, die auf Tabletts herumgetragen wurden. Von der Band, die Jazzmusik gespielt hat, und von ihrer Nichte und den Kindern in bunter Sommerkleidung.
„Das ist doch völlig pietätlos, finden sie nicht?“, wollte die Frau von mir wissen. „Hat der Pfarrer erklärt, warum die Trauerfeier so ganz anders war als gewohnt?“, habe ich zurück gefragt.
Ja, das hat er schon. Der Verstorbene und seine Frau hatten alle Details schon vor Jahren genau festgelegt. Sie wollten in der Trauerfeier das Leben feiern und nicht nur den Tod beweinen, hat der Pfarrer gesagt. Aber die alte Dame fand das doch ziemlich anstößig.
Ich habe mir ihren Ärger angehört. Und ich kann nachvollziehen, dass diese so ganz andere Trauerfeier viele Besucher irritiert oder sogar verstört hat.
Aber ehrlich gesagt: Ich habe Sympathie für diesen mir unbekannten Mann und seine Angehörigen. Ich verstehe ihre Weise, den Abschied ihres geliebten Menschen zu gestalten. Sie wollen voll Dankbarkeit auf das Schöne und Gelungene schauen, das Gott ihnen geschenkt hat. Und das gemeinsame Leben feiern.
Mir ist klar: Das wird nicht jeder können, der einen Trauerfall erlebt. Wenn der Tod zu grausam kommt, wenn dem Sterben eine lange Leidenszeit vorausgeht, wenn man auf eine schwierige Beziehung zu dem Verstorbenen schauen muss, dann ist es nicht dran, bei einer Beerdigung das Leben zu feiern. Dann ist dran: den Tod zu beweinen und das, was im Leben bruchstückhaft und unvollkommen geblieben ist.
Aber für meine Beerdigung hoffe ich, dass meine Angehörigen das eines Tages tun können: das gemeinsame Leben feiern trotz Tränen und Trauer. Denn schließlich gibt es viel Grund zum Danken für alles, was Gott mir geschenkt hat, und auch für das, was nach meinem Tod auf mich wartet – im neuen Leben bei Gott.
Ich finde: Darauf kann man durchaus mit Sekt anstoßen. Warum nicht auch bei einer Trauerfeier?

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