Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich war’s nicht“, sagen kleine Kinder, auch wenn das kaputte Glas direkt neben ihnen liegt. „Ich war’s nicht“, würde ich auch gerne sagen, wenn ich etwas richtig Blödes gemacht habe. Denn das Gefühl, an etwas Schuld zu sein, ist nicht schön und lässt einen nicht so schnell los.
„Ich war’s nicht!“, das haben auch viele Deutsche gesagt, als der Zweite Weltkrieg vor 70 Jahren zu Ende war. Und tatsächlich haben die meisten nie einen Menschen getötet, nie einen Menschen verraten, nie einen Juden ins KZ geschickt haben. Aber waren sie deshalb auch ohne Schuld an dem Leid, das von Deutschland ausgegangen ist?
Auch die Evangelische Kirche hat mit dieser Frage gerungen. Nicht wenige waren versucht, ein bisschen Schuld zu akzeptieren und den Hauptteil auf andere zu schieben. Aber schließlich haben sich die Verantwortlichen dann doch zu einem klaren „Ich war’s“, zu einem klaren Schuldbekenntnis durchgerungen.
Der Theologe Hans Asmussen hat das im Sommer 1945 so formuliert: “Unsere Schuld besteht darin, dass wir geschwiegen haben, wo wir hätten reden sollen, und redeten, wo wir hätten schweigen müssen. Wir haben uns gestritten, wo wir hätten einig sein sollen, wo wir hätten ganz im Vordergrund laut schreien müssen.“[1]
„Und vergib uns unsere Schuld“, lautet eine Bitte im Vaterunser. Mit diesem Gebet kann ich mich vertrauensvoll wie ein Kind an Gott wenden. Und besonders liegt mir diese eine Bitte am Herzen: „Vergib uns unsere Schuld!“
Für mich steckt darin das Versprechen, dass Gott zu mir steht, auch wenn ich etwas schuldig bleibe. Und gleichzeitig steckt für mich darin auch der Fingerzeig Gottes, dass er mich in die Verantwortung nimmt – nicht nur für das, was ich selbst mit Händen oder Worten tue, sondern auch für das Schuldhafte um mich herum.
Wenn ich bete „Vergib uns unsere Schuld“, dann sage ich: „Ich bin mitschuldig an jedem Kind, das hungern muss. Ich bin mitschuldig an jedem Menschen, der auf der Flucht ums Leben kommt, und ich bin mitschuldig an jeder Flüchtlingsunterkunft, die bei uns brennt. Mitschuldig, weil ich viel zu oft schweige und viel zu wenig dagegen tue.
Wenn ich auf das Leiden in der Welt sehe, auf die Kriege, auf die Millionen Flüchtlinge und auf die attackierten Flüchtlingsunterkünfte bei uns, dann finde ich: Ein Schuldbekenntnis ist heute so nötig wie vor 70 Jahren! Denn es ist der erste Schritt, um nicht mehr zu schweigen, sondern ganz laut zu schreien und zu handeln!



[1] Auszüge aus einer Predigt von Hans Asmussen, Juni 1945; vgl. de.wikipedia.org/wiki/Stuttgarter_Schuldbekenntnis.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20230
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