Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Mit Kindern lernt man immer Neues. Auch für den Glauben. So wie neulich im Religionsunterricht. Da hat plötzlich jemand gerufen: „Frau Drecoll – Max popelt!“ „Max – Finger aus der Nase“, sage ich. „Popeln Sie nie?“, fragt Max frech. „Doch,“ sage ich, „aber nur heimlich oder wenn ich allein bin.“
Ich will zum Thema zurück, meine Religionsklasse noch nicht. Sarah meldet sich: „Bohrt Gott auch in der Nase?“ Großes Gelächter. Ich muss auch schmunzeln. „Eigentlich kann ich mir das nicht vorstellen“, sage ich. Aber ich stelle mir Gott ja auch nicht wie einen Menschen vor. Meine Zweitklässler aber doch. Für sie ist Gott nicht nur groß und mächtig, sondern auch menschlich. Ein bisschen wie ein lieber Opa. Warum sollte der nicht auch mal popeln?
„Jesus hat bestimmt in der Nase gebohrt“, meldet sich Max erneut zu Wort, „der war doch wie wir!“
Das war der Punkt. Da bin ich ins Nachdenken gekommen. Vermutlich hat Max Recht. Wahr­scheinlich musste Jesus sich auch von seiner Mutter anhören: „Jesus, nimm den Finger aus der Nase!“ Denn Jesus war ja ein Mensch. Er war Gott und gleichzeitig Mensch. Und das heißt dann ja wohl: Jesus hat in die Windeln gemacht, war irgendwann in der Trotzphase, später in der Pubertät, hatte Pickel, hat als Jugendlicher die Gefühlsschwankungen der ersten Verliebtheit durchlebt.
Vielleicht finden manche es sonderbar sich vorzustellen, dass Jesus ein ganz normales Kind, ein ganz normaler Teenager war. Aber eigentlich ist das doch die Voraussetzung dafür, dass Jesus auch als Erwachsener ganz Mensch war. Und das ist mir für meinen Glauben sehr wichtig.
Gott hat seinen Sohn als Menschen in die Welt geschickt. Er hat ihn alles durchleben lassen, was normale Menschen durchleben: den menschlichen Alltag, die menschlichen Sorgen. Und Jesus hat auch die Abgründe erlebt, die ein Mensch erleben muss: die Trauer um einen geliebten Menschen, die Angst vor Schmerzen, vor Einsamkeit, vor dem Tod und sogar das Gefühl, von Gott im Stich gelassen zu sein.
Ich bin dankbar, dass ich glauben kann: Gott war ganz Mensch. Denn dadurch kann ich darauf vertrauen, dass mein Gott mich wirklich versteht und dass er ganz nah an meiner Seite ist. Er hat ja selbst schmerzliche Situationen erlebt. Er wird auch bei mir sein, wenn ich einsam bin, wenn ich leide und auch wenn ich eines Tages in den Tod gehen muss.
Ich glaube sicher: Auch da wird Gott bei mir sein und mich begleiten – durch den Tod in ein neues Leben. Denn einer ist den Weg dorthin schon gegangen: Jesus, der zum Glück nicht nur ein Mensch war, sondern auch Gott.

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