Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Manchmal habe ich schon gesagt: „Ich habe den tollsten Beruf der Welt“. Nicht immer denke ich das, aber manchmal. Dann zum Beispiel, wenn ich einen Besuch bei einem älteren Menschen mache. Ich bin Pastor und da gehört es einfach mit dazu, ältere Gemeindeglieder zu besuchen.
Was habe ich mir früher für Sorgen gemacht, wenn ich als junger Pastor Menschen besuchen sollte, die so alt waren wie meine Eltern. Bis ich dann entdeckte habe, dass ich gar nicht viel mitbringen muss, schon gar keine frommen Sprüche. Es reicht völlig, wenn ich ganz da bin und wenn ich mich für mein Gegenüber interessiere.
So wie bei dem 90jährigen, der in einer kleiner Wohnung unter dem Dach besuchte. Viel Falten hatte er im Gesicht, ein bisschen krumm war er auch. Der Mann erschien mir recht klein. Das Gespräch kam nur schleppend in Gang, bis ich die Bücher auf seinem Regal entdeckt habe: „Das Boot“ hatte ich auch mal gelesen. Aber das standen noch einige andere U-Boot-Bücher. So habe ich ihn spontan gefragt: „Waren sie mal U-Bootfahrer“?
Ein Strahlen zeigte sich auf seinem Gesicht und er war auf einmal voll da, kaum mehr zu bremsen. Er erzählte mir, dass er noch blutjung war, als er in den letzten Kriegsmonaten zu den U-Bootfahrer gesteckt wurde, auch weil er so klein war. „Damals“, so erzählt er mir, „war das etwas ganz Besonderes, wir galten als Helden. Aber in unserem U-Boot, da habe ich vor allem das Beten gelernt.“
Es muss schrecklich gewesen sein, wenn diese Männer in ihren Stahlröhren eingeschlossen waren und die Wasserbomben über ihnen abgeworfen wurden. „Kein Wunder“, habe ich gesagt, „dass sie damals das Beten gelernt haben, in dieser Not.“
„Damals“, so meinte er, „habe ich mich gefragt, was mein Leben trägt, was mir wichtig ist, was mein Gott ist. Es waren schreckliche Stunden, aber mir war klar, ich wenn ich jemals wieder rauskomme, dann werde ich mein Leben ändern, dann will ich mit Gott leben.“
Wir saßen an diesem Nachmittag noch lange auf dem Sofa zusammen und ich habe gestaunt, wie dieser so gebrechlich wirkende alte Mann sein Leben gelebt hat.
Er stammte aus einem kirchlichen Elternhaus, aber das war nur der Glaube seiner Eltern. Aber in den letzten Kriegsmonaten hat er seinen eigenen Glauben entdeckt. „Und“, so strahlte er mich an, „es ist mein Glaube geblieben. Damals habe ich Gott kennen gelernt – und wir sind zusammen geblieben, bis heute“.

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