SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Staunen Sie auch hin und wieder über große, alte Bäume? Vor kurzem bei einer Wanderung im Pfälzer Wald habe ich einige dieser Prachtexemplare wieder bewundert. Was für mächtige Stämme und welch ausladende Kronen. Und jetzt im Sommer die Blätter in saftigem Grün. Ein Baum zieht zugleich mit seinen Wurzeln, die im Verborgenen liegen, die Kraft aus der Erde und nährt sich mit dem Blattwerk der Krone von Luft und Licht.
Die großen alten Bäume erinnern mich, dass wir Menschen auch beides  brauchen: die Sehnsucht der Krone, die sich ins helle Licht streckt- und ebenso die verborgenen Wurzeln, die aus der Erde Kraft ziehen. Die geben dem Baum seinen Stand.
Mich erinnert diese Betrachtung zum Baum an das alte Sommerlied von Paul Gerhardt: „Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben“. Dort wird ihm der Baum zu einem Bild für sein eigenes Leben und er hat gedichtet:
„Mach in mir deinem Geiste Raum und lass mich sein ein guter Baum,
dass ich dir Wurzel treibe.“
Der Lieddichter rechnet mit Gottes lebendigem Geist, der uns belebt und begeistert. Er öffnet sich nach oben. Er erwartet den Geist Gottes. Er bittet darum. Und gleichzeitig bittet er um die Kraft, dass er tiefe Wurzeln treibt.
Das sollen doch Eltern und Großeltern auch: ihren Kindern helfen, dass sie Wurzeln entwickeln und Sehnsucht nach Licht und Geist Raum geben. Und auch wir Erwachsenen brauchen das, was uns trägt und Halt gibt und das, was uns Freiheit schenkt und ermutigt, dass wir unser Leben wagen. Ich finde das in dem alten Sommerlied und im Betrachten von Bäumen.
Unsere Wanderung im Pfälzer Wald hat uns auch zu einer Burgruine geführt. Dort habe ich dann bei einer alten Zisterne einen sehr gewundenen und zerzausten Baum gefunden. Mit seinen Wurzeln hat er sich an den Felsen geklammert und ist durch kleine Ritzen in die Erde gedrungen. Das hat mich an Menschen erinnert, die unter schwierigen Lebensbedingungen kämpfen müssen gegen Widerstände. Aber sie halten am Leben fest. Auch sie ziehen mit ihren Wurzeln Kraft aus der Erde und strecken sich dem Licht entgegen. Unglaublich, wie manche ihr Leben meistern. Da staune ich genauso wie über manche Prachtexemplare.

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