Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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2017 werden wir einen zusätzlichen Feiertag haben. Einmalig, am 31. Oktober, in ganz Deutschland. Gefeiert wird der Anfang der Reformation der Kirche vor 500 Jahren. Am 31. Oktober 1517 hat Martin Luther seine berühmten 95 Thesen veröffentlicht. Er wollte damit eine Diskussion anstoßen. Sein Ziel war, Missstände in der Kirche seiner Zeit abzuschaffen und eine Erneuerung einzuleiten. Erneuerung heißt auf lateinisch Reformation. Herausgekommen ist bei diesem Bemühen am Ende eine zweite evangelische Kirche neben der katholischen und später noch verschiedene andere christliche Kirchen.
Was gibt es da zu feiern, sagen manche. Dass die Christen nicht einig sind und es verschiedene Kirchen gibt, das ist doch eher ein Skandal. Und andere sagen: Der zusätzliche freie Tag ist für mich ok. Aber eigentlich interessiert mich die Kirche nicht, ganz gleich ob katholisch oder evangelisch. Ich habe da nichts zu feiern.
Wer genauer hinschaut, wird aber vielleicht sehen: Luthers Reformation hat Wirkungen gehabt, die die Welt verändert haben. Nicht nur in den Kirchen und für die Christen.
Seine Bibelübersetzung zum Beispiel. Luther hat die Bibel in die deutsche Sprache so übersetzt, dass Menschen in ganz Deutschland sie verstehen konnten. Das war der Anfang der deutschen Schriftsprache. Vorher haben die Menschen verschiedene Dialekte gesprochen und konnten sich kaum verstehen.
Noch wichtiger finde ich aber, dass Luther sich dafür eingesetzt hat, dass die Menschen seine Bibel auch lesen konnten. Und zwar die Mädchen genauso wie die Jungen und die einfachen Leute genauso wie die Wohlhabenden und Mächtigen. An die Ratsherren der deutschen Städte hat er geschrieben: „Wenn man  … so viel aufwenden muss für Gewehre, Wege, Steige, Dämme und dergleichen unzählige Dinge mehr … warum sollte man nicht viel mehr noch oder doch genauso viel für die arme bedürftige Jugend aufwenden, indem man ein oder zwei geeignete Männer als Lehrer einstellt?“[1] Und sie sollten auch nicht nur die Bibel lesen lernen, sondern auch „Geschichte und Musik, Mathematik und Poesie“ – denn, das war Luthers Anliegen: Die Menschen sollten befähigt werden, selber zu denken und zu entscheiden, was sie glauben wollten. Das war gewissermaßen die Grundidee der Reformation. Luther war einer der ersten, der das möglich gemacht hat.
Das ist bis heute längst nicht überall selbstverständlich – und ich finde, das ist ein Grund zum Feiern.



[1] An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen; 1524 WA 15, 47

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20036
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