Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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1983 bin ich zum Studieren nach Tübingen gezogen. Wir waren damals vierzig junge Männer, die Priester werden wollten. In einem Jahrgang. Und wir waren ein bunter Haufen. Da gab es lila Latzhosen und selbst gestrickte Pullis, Goldrandbrillen und Aktenkoffer, politisch Konservative und Anhänger der Friedensbewegung. Verbunden hat uns das gemeinsame Ziel: Jesus nachfolgen. Priester werden. Aber unsere Vorstellungen davon und der Weg dahin, die haben bei jedem anders ausgesehen. Wir hatten heftige Diskussionen und sind beileibe nicht immer einig gewesen. Aber allein durch die große Zahl von unterschiedlichen Persönlichkeiten war klar: Ich muss Rücksicht nehmen auf die anderen. Und vor allem: Ich entdecke neue Seiten der Wirklichkeit, die mir sonst nicht aufgefallen wären.

Es kann schon sein, dass da ein Schuss Verklärung dabei ist. Aber genau das vermisse ich heute manchmal. Nicht nur im Priesterseminar. Da fällt es mir besonders auf, wenn Menschen sich zu sehr anpassen. Weil das für mich so gar nicht zur Botschaft Jesu passt. Auch sonst gibt es in unserer Gesellschaft viel Uniformität. Junge Leute kleiden sich immer mehr nach einem bestimmten Strickmuster, das die aktuelle Mode vorgibt. Fußball ist als Hobby fast Pflicht. Und die Musik, die sie lieben, hört sich in meinen Ohren ziemlich austauschbar an. Vieles sieht für mich ziemlich angepasst aus. Ein bisschen so, als ob man die Freiheit lieber nicht ausprobieren will.

Nun gibt es aber nicht nur solche Äußerlichkeiten, sondern so etwas wie „unveränderliche Kennzeichen“ einer Person. Wer da aus der Reihe tanzt, wer anders ist, fällt auf. Und er muss sich erklären, rechtfertigen: weshalb er eine andere Hautfarbe hat; weshalb er Muslim ist; weshalb er aus der Fremde zu uns kommt. Wir sprechen von Deutschland als einer pluralen Gesellschaft. Denn hier leben viele unterschiedliche Menschen. Das ist gut so. Aber ungewohnte Unterschiede werden äußerst kritisch beäugt. Und manchmal sogar abgelehnt. Bestimmte Unterschiede machen Angst. Weil sie die Gleichheit in Frage stellen, die von vielen unausgesprochen erwartet wird.

Woher kommt dieser Zwang, das Gleiche zu haben und zu tun? Vielleicht brauchen wir das, um uns eine Identität zu schaffen, die wir sonst nirgends mehr finden. Wenn ich so bin, wie die meisten anderen, dann habe ich meinen Platz. Ich bin auf der sicheren Seite. Und wenn nicht?! Dann braucht es ein Ja zur Vielfalt, von dem ich hoffe, dass viele es aussprechen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19983
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