Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„So möge gelingen was möglich ist, hier und jetzt, überall auf der Welt heute und morgen und zu aller Zeit.“
Mit Worten zu beten hat eine uralte Tradition und so sind auch viele Formulierungen sehr traditionell und sagen den meisten Menschen heute nicht mehr viel. Deswegen tun sich manche schwer mit dem Beten, vielleicht auch, weil sie den tieferen Sinn nicht verstehen. Mir ging es lange mit dem Schluss des Vaterunsers so: „Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen“. Reich, Kraft, Herrlichkeit. Das klingt formelhaft, verschwörerisch, fast magisch, wie in einem Fantasy Roman oder einem mittelalterlichen Theaterstück. Traditionelle Lobpreisungen aneinandergereiht. Es gibt viele solche Formeln am Anfang oder am Ende von Gebeten. Das hat dazu geführt, dass manche Menschen glauben, beten sei nur das Plappern von Formeln oder das sinnlose Herunterleiern von Texten, das Wiederholen von immer denselben Sprüchen, gebetsmühlenhaft, wie es heißt.

Ich habe Jahre gebraucht, bis ich für mich den tieferen Sinn entdeckt habe. Ich finde heute, die Eingangsformeln, die Gebetseröffnungen sind wie das Klopfen an einer Türe: „Darf ich eintreten?“ Es gibt solche Vorbereitungsrituale und jeder kennt wahrscheinlich seine eigenen: Vor einem öffentlichen Auftritt zum Beispiel sich noch einmal mit der Hand durch die Haare zu fahren, am Ring drehen, die Kleidung glattstreichen, vielleicht sich noch strecken, tief Luftholen, bevor man zu einer Respektsperson ins Büro geht. Ich finde Eröffnungsformeln bei Gebeten sind so eine Art Ouvertüre, Worte die signalisieren. „jetzt geht’s los!“
Und auch das längste Gebet hat ein Ende, und wie eine Klammer signalisiert die Schlussformel, „so, das war’s!“, für heute ist Schluss, wie der Schlussakkord einer Sinfonie. Interessant finde ich, dass viele Schlussformeln in die Zukunft weisen, oft in eine zeitlose Ewigkeit. Ganz zum Schluss heißt es dann traditionell: „Amen“. So sei es!
Die Schlussformel eines modernen „Vaterunsers“ finde ich bedenkenswert. Sie vertraut ganz selbstverständlich darauf, dass eine höhere Macht auf diesem Planeten ihre Finger im Spiel hat, ohne uns Menschen aus der Verantwortung zu entlassen: „So möge gelingen was möglich ist, hier und jetzt, überall auf der Welt heute und morgen und zu aller Zeit.“ Da fehlt dann nur noch das „Amen“.

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