Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Unser tägliches Brot gib uns heute“ heißt es lapidar im „Vaterunser“, dem Gebet, das weltweit alle Christen egal in welcher Konfession beten. Für wohlgenährte Europäer scheint dieser Absatz absurd zu sein, haben wir doch Nahrung im Überfluss, werden hierzulande tonnenweise Lebensmittel weggeworfen, sind eher Diäten und Abspeckprogramme notwendig, damit wir nicht an Überfettung zugrunde gehen.
Mit dem „täglichen Brot“ sind nicht nur Kalorien und Vitamine gemeint. Die Bibel sagt auch: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein, …“ Welche Art von „Nahrung“ brauchen wir Menschen denn, um uns von Kindesbeinen an gut entwickeln zu können? Es ist nicht nur gesundes Essen und sauberes Trinkwasser für die körperliche Entwicklung. Auch unser Geist, unser Gehirn braucht „Nahrung“. Ich bin immer wieder fasziniert wie wissbegierig Kinder und junggebliebene Menschen sind. Wir scheinen eine angeborene Neugierde zu besitzen, immer mehr wissen zu wollen, noch mehr zu entdecken, noch mehr zu erforschen, noch mehr von dieser Welt, von unserem Universum verstehen zu wollen. Deshalb scheint mir die Bitte „Unser tägliches Brot gib uns heute“ gar nicht so verkehrt, wenn wir sie umfassender verstehen: „Möge es immer und für alle genug Nahrung geben, für den Körper, den Geist und die Seele.“
Ok, die Sache mit der Nahrung für Körper und Geist haben wir geklärt, aber „Nahrung“ für die Seele? Gibt es überhaupt eine Seele? Nun, das ist Glaubenssache. Menschen machen spirituelle Erfahrungen, die sich intellektuell oder naturwissenschaftlich nicht erklären lassen. Tiefe Gefühle, wie Liebe, können vielleicht biochemisch erklärt werden: ein besonderer Cocktail aus Hormonen und anderen Substanzen. Aber das erklärt immer noch nicht alles. Warum ist menschliche Liebe und Zuwendung lebensnotwendig? Warum kann man sich in einer tiefen Meditation eins mit dem Universum fühlen? Warum finden Menschen Erfüllung und tiefste Zufriedenheit in einer religiösen Praxis? Ist es nur billiger Trost der Religionen, daran zu glauben, dass wir Menschen eine Seele haben, die ein längeres Leben hat als unser biologischer Körper?
Für mich selbst ist die Bitte „Möge es immer und für alle genug Nahrung geben, für den Körper, den Geist und die Seele„ eine lebensnotwendige und ehrliche Bitte für alle Menschen und so verstehe ich auch den einfachen Satz: „Unser tägliches Brot gib uns heute“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19927
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