Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Du bist doch ein freier Mensch“!? Mit dieser Bemerkung versuchte mich ein Freund zu provozieren. „Wie kannst Du Deinen freien Willen aufgeben und Dich einfach einem anderen unterwerfen?“ Ich fand das eine gute Frage, von jemand, der nicht gleichgültig durchs Leben geht, sondern alles und jeden hinterfragt, auch religiöse Bräuche und Traditionen. Christen beten im „Vaterunser“ ganz zu Anfang: „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“ Ich habe versucht, meinem Freund zu erklären, wie ich diesen Satz im „Vaterunser“ verstehe.

Für mich geht es nicht um den eigensinnigen Willen eines bärtigen alten Mannes. Es geht auch nicht um eine räumliche Vorstellung, im Himmel dort oben und auf Erden hier unten. Es geht nicht um ein Königreich oder eine Herrschaft nach menschlichen Maßstäben. Ich glaube, Gott will, dass wir den positiven Kräften eine Chance geben. „Dein Wille geschehe“ heißt für mich, das Gute im Menschen zu unterstützen. Im Grunde seines Herzens weiß doch jeder, welches Verhalten zerstörerisch wirkt und welche Haltung eher dazu dient, dass wir uns kulturell weiterentwickeln können. Es wird im christlichen Kontext oft zusammengefasst unter den Überschriften: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Jeder weiß was notwendig ist, dass es auf dieser Erde eine Zukunft gibt.
Es gibt eine moderne Übertragung des „Vater-unser-Gebets“, die das folgendermaßen formuliert: „Möge sich der Kosmos und der Planet Erde so entwickeln, wie es sein sollte.“
Es ist für mich eine wichtige Frage, welchen Sinn wir dem Leben auf diesem Planeten geben, und unserem eigenen Leben. Und beten heißt für mich auch, immer wieder bewusst innezuhalten, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich lebe, was mir wichtig ist. Ich kann jeden Tag neu und frei entscheiden, wie ich mich in der mir geschenkten Zeit verhalten möchte. Wenn ich also im „Vaterunser“ bete: „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“, so entspricht das für mich dem Wunsch: „Möge sich der Kosmos und der Planet Erde so entwickeln, wie es sein sollte.“ Ich möchte meinen bescheidenen Beitrag dazu leisten.
„Wenn Du es so siehst, verstehe ich das“, sagte mein Freund. „Sehen das alle Christen so?“
„Keine Ahnung“ war meine Antwort, „aber, ich fände es gut!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19926
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