Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Man muss jeden Tag so leben, als ob er der letzte wäre. Nur dann lebt man bewusst, intensiv und richtig.“ Das habe ich schon oft gehört. Und dazu: Das sei ein kluges Lebensmotto. Sie kennen das vermutlich auch.
Aber irgendwie überzeugt mich das nicht. Zumindest krieg ich das nicht hin. Ich wache nicht jeden Morgen auf und denke als erstes dran, heute könnte mein letzter Tag sein, also lebe entsprechend. Bewusst und intensiv.
Das Motto des Kirchentags in Stuttgart scheint in dieselbe Kerbe zu hauen:
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.“
Ich frage mich, lebe ich erst dann klug, wenn ich mir morgens zu meiner ersten Tasse Kaffee gleich dazu einschenke: Denk dran, dieser Tag könnte Dein letzter sein.
Klar, es stimmt. Aber ich möchte nicht, dass mein Tod, der irgendwann mal kommt, der Fixpunkt wird, auf den ich „starre“ wie das Kaninchen auf die Schlange. Das könnte ja passieren, wenn man ein bisschen ängstlich veranlagt ist.
Ich finde, man darf seine Tage auch leicht anfangen. Schwer werden sie oft sowieso und von ganz allein. Und ich will auch Tage unbeschwert angehen können. Einfach los leben. Mit viel Vertrauen in den neuen Tag. Mich dem Fluss des Lebens anvertrauen. Und mich getragen fühlen, von Gott, der mir Zeit schenkt. Dass meine Lebenszeit begrenzt ist, soll nicht wie ein Damoklesschwert über mir hängen.
Martin Luther Übersetzung „dass wir sterben müssen“ ist übrigens ziemlich zugespitzt. Ganz genau heißt es im Psalm in der Bibel nämlich: ‚Lehre uns bedenken, „dass unsere Tage gezählt sind“, damit wir klug werden.‘
Also ja, mein Leben ist nicht grenzenlos und die Zeit nicht unendlich.
Aber das ist ja eigentlich nicht bedrohlich.
Ein bisschen ist das doch wie mit dem Urlaub. Da weiß man auch, der dauert nicht ewig. Urlaubstage sind nun mal gezählt. Das belastet mich aber nicht, das macht die Tage kostbar. Nur wenn man vom ersten Tag an immer nur zählt, wie lange noch? Bloß noch so lang? Dann läuft einem die Zeit weg. Klüger und schöner ist, sie zu leben. Wie ein Geschenk.
„Lehre uns bedenken, dass unsere Tage gezählt sind, damit wir klug werden.“ Klug sein heißt, keine Angst haben müssen. Dass alles im Leben Grenzen hat, gibt allem seinen Wert. Wie im Urlaub. Und ich glaube, dass meine Tage von Gott gezählt sind. Und wenn er fertig gezählt hat, wird es genug sein. Und dann gehe ich zu Gott zurück, wo ich hergekommen bin.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19904
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